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Gender in Motion

Gender in Motion

Die Konstruktion von Geschlecht in Raum und Erzählung

Gender in Motion
Taschenbuch 28,70
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Veröffentlicht 2007, von Dominique Grisard, Jana Häberlein, Anelis Kaiser, Sibylle Saxer bei Campus

ISBN: 978-3-593-38348-4
Auflage: 1. Auflage
Reihe: Politik der Geschlechterverhältnisse
405 Seiten
21.3 cm x 14 cm

 
Die einen sprechen von der Verwischung der Grenze zwischen Frauen und Männern. Andere beharren auf der biologisch begründeten Geschlechterdifferenz. Solche Geschlechterdiskurse zeugen von einer paradoxen Gleichzeitigkeit und halten die Genderforschung in Bewegung. Anknüpfend an diese Debatte gehen die Autorinnen dem wechselseitigen Konstitutionsprozess von Raum, Erzählung und Geschlecht in ...
Werbliche Überschrift
Politik der Geschlechterverhältnisse
Hg. von Cornelia Klinger, Eva Kreisky, Andrea Maihofer und Birgit Sauer

Textauszug
Die Natur schreibt die schönste aller Geschichten. Mit diesem Slogan warb kürzlich der Dokumentarfilm Die Reise der Pinguine für seine faszinierenden Bilder. Doch was ist überhaupt eine ›Geschichte‹? Und was ist ›Natur‹? - Über Jahre haben die Filmemacherinnen und Filmemacher die "winterliche Migration" der Kaiserpinguine in der Antarktis beobachtet und daraus eine Geschichte gemacht: "Mein Plan war es, dem ewigen Eis eine Geschichte zu entlocken", sagt der Regisseur Luc Jacquet. Die Geschichte handelt von einem Pinguinpärchen inmitten seiner Kolonie; von seiner Wanderung vom Meer zum Brutplatz, wo das Paar sich findet und zusammenbleibt, bis das Weibchen das Ei gelegt hat; und von den langen Phasen der Trennung, in denen immer das Männchen über das Ei respektive das Küken wacht, während das Weibchen zwecks Nahrungsbeschaffung Hunderte von Kilometern zum Meer zurückwandert.
Man kann diese ›authentische Geschichte‹ als herausgegriffene Sequenz aus einem fortwährenden Zyklus lesen, der sich dem Lauf der Jahreszeiten und den klimatischen Veränderungen anpasst. Man kann der sonoren Stimme und der überlegten Erzählart des Filmkommentators aber auch Glauben schenken und diesen von der Natur scheinbar vorgegebenen Ablauf als "schönste Liebesgeschichte der Welt" betrachten, als Hohelied auf die monogame Partnerschaft. Insbesondere diese letzte Lesart macht aus dem Schauplatz, "dem kältesten, windigsten, trockensten und düstersten Kontinent der Erde", eines der letzten ›unberührten‹ Paradiese dieser Welt - einen Ort, an dem das ›richtige‹ Verhalten und die ›richtigen‹ Emotionen das Überleben ermöglichen: Dank Paarverhalten und Treue schaffen es die Kaiserpinguine, unter den widrigsten Umständen Nachwuchs zu zeugen.
Diese Erzählung legt den Filmaufnahmen ein Ordnungsmuster zugrunde, das an das Narrativ der romantischen Liebe anschließt. Und dieses Narrativ wird den ZuschauerInnen als bevorzugte Lesart (Hall 2004) nahe gelegt, denn es lässt das, was wir auf der Leinwand sehen, als ungefilterte Wiedergabe der Natur erscheinen. Das filmische Beispiel verdeutlicht, dass narrative Konventionen, wie die der romantischen und ›natürlichen‹ hetero-reproduktiven Zweierbeziehung, Politiken der Normalisierung und Naturalisierung von Geschlecht, Geschlechterverhältnissen und Sexualität sein können.
Es sind genau solche ›authentischen‹ Zeugnisse über Geschlecht und Geschlechterverhältnisse, die im vorliegenden Band thematisiert werden. Ziel ist es aufzuzeigen, welch grundlegenden Einfluss unsere Tendenz, Raum zu naturalisieren und in ihrem zeitlichen Verlauf normierte Geschichten unhinterfragt hinzunehmen, auf die Reproduktion von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen hat. Welche Räume lokalisierbar, welche Materialitäten sichtbar sind und fix erscheinen und welche Erzählungen als glaubwürdig eingestuft oder gar unhinterfragt ›wahr‹-genommen werden, ist unwiderruflich mit der Frage der Macht gekoppelt (Foucault 1976; 2004). Denn Sichtbarkeit und Lokalisierbarkeit werden immer wieder mit Faktizität verwechselt - gerade auch was Geschlecht und Sexualität angeht.
Während sich die Geschlechterforschung mit den Naturalisierungseffekten von Materialität, Sichtbarkeit und Faktizität in Bezug auf Geschlecht, sprich: dem Geschlechtskörper, bereits eingehend beschäftigt hat, wird die Hetero- und Repronormativität der bürgerlichen Biografie, die implizit den Verlauf der meisten Narrative vorgibt, erst jüngst von einzelnen Queer-TheoretikerInnen problematisiert. Sie zeigen für die Zeit der bürgerlichen Moderne einen doppelten Naturalisierungseffekt auf: dass auf der einen Seite die ›Natürlichkeit‹ von Geschlecht von seiner Sichtbarkeit und Materialität abgeleitet wird und dass auf der anderen Seite die herkömmliche Erzählweise implizit Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität als materiell-natürliche Realität fixiert. Dies zeigt sich erstens darin, dass Erzählungen ganz selbstverständlich von männlichen und weiblichen AkteurInnen ausgehen, die sich in der Regel gemäß dem vorherrschenden Geschlechterdualismus für die ganze Erzählung eindeutig einem Geschlecht zuordnen lassen. Zweitens orientieren sich Erzählungen, und zwar nicht nur Biografien und Lebensläufe, am Verlauf eines binär in Kindheit und Erwachsensein geteilten Lebens und an einer geschlechtsspezifischen Lebensform. Die Vorstellung einer geschlechtsspezifischen Sozialisation, die beim Erreichen eines gewissen Alters abgeschlossen ist, manifestiert sich in der Art, in der sich Figuren im Verlaufe einer Erzählung entfalten. Die Grenze zwischen Kindheit und Erwachsensein wird je nach Geschlecht, sozialer und geografischer Herkunft der AkteurInnen unterschiedlich gezogen und hängt von der Epoche ab, in der die Erzählung situiert wird. Es ist diese Chrono-Logik der modernen bürgerlichen Erzählweise, die eine temporale Entwicklung und Linearität der Erzählung voraussetzt, die wiederum einen Glauben an den Fortschritt implizieren und eine Erzählung in der Regel teleologisch auf die Zeit der Reproduktion ausrichten (Halberstam 2005: 152).

Beschreibung
Die einen sprechen von der Verwischung der Grenze zwischen Frauen und Männern. Andere beharren auf der biologisch begründeten Geschlechterdifferenz. Solche Geschlechterdiskurse zeugen von einer paradoxen Gleichzeitigkeit und halten die Genderforschung in Bewegung. Anknüpfend an diese Debatte gehen die Autorinnen dem wechselseitigen Konstitutionsprozess von Raum, Erzählung und Geschlecht in unterschiedlichen Bereichen (Hirnforschung, Rechtsprechung, Literatur etc.) nach.

Über Dominique Grisard, Jana Häberlein, Anelis Kaiser, Sibylle Saxer

Dominique Grisard ist Historikerin, Jana Häberlein Sozialwissenschaftlerin und Anelis Kaiser Psychologin am Zentrum Gender Studies der Universität Basel; Sibylle Saxer ist Literaturwissenschaftlerin an der Universität Zürich.