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Erinnerungskultur 2.0

Erinnerungskultur 2.0

Kommemorative Kommunikation in digitalen Medien

Erinnerungskultur 2.0
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Veröffentlicht 2009, von Erik Meyer bei Campus

ISBN: 978-3-593-38917-2
Auflage: 1. Auflage
Reihe: Interaktiva, Schriftenreihe des Zentrums für Medien und Interaktivität, Gießen
239 Seiten
ca. 8 Abb.
21.3 cm x 14.1 cm

 
Die Beiträge reflektieren die Veränderungen, die sich durch digitale Medien für Erinnerungskultur und Geschichtsvermittlung ergeben. Sie analysieren aktuelle Formate wie Computerspiele zum Zweiten Weltkrieg, E-Learning, Websites und virtuelle Rekonstruktionen zu Nationalsozialismus und Holocaust, Wikipedia und Online-Datenbanken aus gedächtnistheoretischer und medienwissenschaftlicher ...
Werbliche Überschrift
Interaktiva Schriftenreihe des Zentrums für Medien und Interaktivität, Gießen

Textauszug
1. Was heißt Visualisierung?
Visualisierung wird in der Wissenschaft, im Unterricht und im Alltag eingesetzt, um einen Zusammenhang evident zu machen, der nicht unmittelbar einleuchtet. Wie man Schwererklärbares, Verborgenes oder Unsichtbares zum Erscheinen bringt, zeigt exemplarisch der Frontispiz von Thomas Hobbes Schrift Leviathan; das Deckblatt visualisiert eine ganze politische Theorie und macht den abstrakten Begriff Souveränität in/mit einem Bild plausibel (Bredekamp 2003): Demonstration von Theorie - (theorein) heißt "mentales Schauen" - durch visuelle Konstrukte. Institutionelle Politik ist generell schwer darstellbar; exemplarisch gilt das für die Europäische Union, deren Flaggen und Symbole kraftlos sind. Europa mangelt es, wie die lange Suche nach prägnanten Euro-Geldscheinen belegt, an ikonischer Plastizität (Leggewie 2008).
Ikonisierung stellt eine zugespitzte Visualisierung dar: Ein Sachverhalt oder Vorgang wird besonders prägnant und nachhaltig dargestellt, womöglich mit einer Aura umgeben. Darauf deutet die Herkunft des Begriffs Ikone hin, die ursprünglich ein transportables Kultbild mit biblischen Szenen war, das in den christlichen Ostkirchen besonders verbreitet war (und ist). Trotz der Säkularisierung der Ikone blieb dieser religiöse Hintergrund latent und virulent. Zur Ikonabilität von Bildern tragen historische Signifikanz, spezifische Bildeigenschaften und die Modalitäten ihrer Reproduktion bei (Paul 2008); besonders als Medienereignisse gewinnen Bilder ikonische Wirkungen und symbolische Funktionen (Drechsel 2005, Leggewie/Lenger 2006, Paul 2008). Ikonen mobilisieren kollektive Affekte, binden öffentliche Aufmerksamkeit und modellieren individuelle und kollektive Erinnerungen. Sie können dies, weil sie besonders intensiv, häufig, dauerhaft und breit gestreut gezeigt werden, sich damit auf Grund ihres raschen Wiedererkennungspotenzials aus einer gewaltigen Menge von Bildern herausheben und dabei auch soziale, politische und kulturelle Grenzen überschreiten. Ihre Aura ergibt sich, psychoanalytisch gesprochen, aus dem Wechselverhältnis von Heimlichen und Unheimlichen, also daraus, dass sie sattsam vertraut sind und doch immer wieder neu befremden.
Ikonisierung bestätigt das Bekannte und synchronisiert das Publikum mit der Welt. Was wir über sie wissen, wissen wir bekanntlich aus den Massenmedien (Luhmann 1996), in denen Ikonen im Umlauf sind und sich wechselseitig zitieren. Auf diese Weise nehmen sie auch politische und weltanschauliche Funktionen an, fungieren als Schlüsselbilder für Epochen und Zäsuren, gliedern historische Narrative und Generationen. Ikonen sind damit eine Währung visueller Massenkommunikation, wo sie oft multi- und transmedial in Erscheinung treten.
Demgegenüber ist, ohne in einen überholten Bilderstreit verfallen zu wollen, eine gehörige Portion Misstrauen angebracht, nämlich in dem Sinne, dass Ikonen nicht nur zeigen, sondern auch verbergen. Ein Beispiel ist der von Naturwissenschaftlern postulierte, an der Zunahme extremer Wetterereignisse erkennbare Klimawandel, der im Wesentlichen über Diagramme zur Erscheinung kommt. In dieser Standardform wissenschaftlicher und populärer Visualisierung werden Messdaten oder Simulationsergebnisse physikalischer Prozesse in visuelle Artefakte übertragen, die zunehmend digital erstellt werden. Wissenschaftliche Erkenntnisse, in der Genetik wie in der Nanotechnologie, erschließen sich zunehmend erst durch Visualisierung, auch avancierte Architektur kann ohne vorherige Simulation nicht verwirklicht werden, und medizinische Operationen erfolgen immer öfter ohne Ansehen des menschlichen Körpers im Blick auf den Computerbildschirm. Jedes Mal wird dabei dem menschlichen Auge Verborgenes oder Unsichtbares sichtbar. Naturforscher, Konstrukteure und Chirurgen stehen dabei vor einer lange vor dem Iconic Turn virulenten Bildfalle, die doppelt zuschnappen kann: Auf der einen Seite traut man Bildern als wahrnehmungsnahen Zeichen, die den Betrachter gewissermaßen anspringen, qua Fotobeweis spontane Evidenz zu, also die Beglaubigung, dass etwas so und nicht anders (gewesen) ist. Gleichzeitig herrscht der pauschale Täuschungsverdacht, digitale Bilder, die kinderleicht zu bearbeiten sind, könnten durch nachträgliche Bearbeitung manipuliert worden sein.
Digitale Bilder haben noch weniger als herkömmliche Fotografie eine Entsprechung in der Wirklichkeit, sie können die äußere Welt also weniger repräsentieren als simulieren. Visuelle Wissensobjekte bilden nicht länger nur vorgängig Gedachtes oder Geschriebenes ab, bildgebende Verfahren und computeranimiertes Design stellen Dinge (respektive ein Wissen über sie) oft erst her. Besser sehen heißt also zugleich: Wirklichkeit konstruieren. Die Bilder tragen schon immer Spuren des bildgebenden Apparates, und sie reflektieren dabei stets technische, militärische und wirtschaftliche Imperative. Wissenschaftliche Bilder bezeugen also nicht nur eine äußere Realität, wie eventuell ein Pressefoto, bisweilen modellieren sie Realität wie ein Kunstwerk.
Und je einfacher es wird, Daten zu visualisieren, desto mehr geschieht es: Visualisierung als Grundlage von Erkenntnisprozessen liegt zunehmend in den Händen der Wissenschaftler selbst. Was man zu sehen bekommt, hängt nicht zuletzt am jeweiligen Grafikprogramm und an unwillkürlichen Eingriffen der Wissenschaftler, die Bilder bearbeiten, bis sie Erkenntnisinteressen und auch kulturellen Konventionen der Darstellung entsprechen. Herstellung und Interpretation, ästhetische und epistemische Praxis überlappen sich damit. In der Tendenz, "to visualize things that are not in themselves visual" (Mirzoeff 1999: 5), könnte eine ikonische Wende insofern enthalten sein, als aus der Welt als Text eine Welt als Bild wird, deren Selbstbild und Verständigung zunehmend über visuelle Kommunikation verläuft, wobei diese zunehmend virtuell wird, sich also von der Materialität der Dingwelt noch weiter entfernt. Visualisierung ist also jenseits der so bezeichneten Verfahren eine vor allem durch elektronische Medien bestärkte Tendenz der Gegenwartsgesellschaften.

Beschreibung
Die Beiträge reflektieren die Veränderungen, die sich durch digitale Medien für Erinnerungskultur und Geschichtsvermittlung ergeben. Sie analysieren aktuelle Formate wie Computerspiele zum Zweiten Weltkrieg, E-Learning, Websites und virtuelle Rekonstruktionen zu Nationalsozialismus und Holocaust, Wikipedia und Online-Datenbanken aus gedächtnistheoretischer und medienwissenschaftlicher Sicht.

Über Erik Meyer

Erik Meyer, Dr. rer. soc., vertritt eine wissenschaftliche Assistenz am Institut für Politikwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen.