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Eine Frau zu sehen

Eine Frau zu sehen

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Veröffentlicht 2020, von Annemarie Schwarzenbach bei Kein & Aber

ISBN: 978-3-0369-6103-3
Auflage: 2. Auflage
112 Seiten
18.5 cm x 11.6 cm

 
Weihnachten 1929: Im Fahrstuhl eines Hotels in den Schweizer Alpen trifft die junge Erzählerin auf eine fremde, geheimnisvolle Frau. Ein magischer Moment, der alles verändert und unstillbares Verlangen weckt.
Offen bekennt sich Annemarie Schwarzenbach zu ihrer Liebe zu Frauen und setzt sich damit kühn über gesellschaftliche Schranken hinweg. »Eine Frau zu sehen« ist voll knisternder ...
Textauszug

Eine Frau zu sehen: nur eine Sekunde lang, nur im kurzen Raum eines Blickes, um sie dann wieder zu verlieren, irgendwo im Dunkel eines Ganges, hinter einer Türe, die ich nicht öffnen darf –
aber eine Frau zu sehen, und im selben Augenblick zu fühlen, dass auch sie mich gesehen hat, dass ihre Augen fragend an mir hängen, als müssten wir uns begegnen auf der Schwelle des Fremden, dieser dunkeln und schwermütigen Grenze des Bewusstseins …
ja, in dieser Sekunde zu fühlen, wie auch sie stockt, beinahe schmerzhaft unterbrochen im Gang der Gedanken, als zögen sich ihre Nerven zusammen, von meinen berührt. Und war ich nicht müde, verwirrten sich nicht in mir Bilder des Tages, noch sah ich Schneefelder, darauf die länglichen Schatten des Abends, sah Gedränge der Bar, Mädchen gingen vorüber, wurden von ihren Tänzern wie Puppen getragen, leichtsinnig lachten sie rückwärts über ihre schmalen Schultern, neben ihrem Lachen setzte dröhnend der Jazz ein, und man flüchtete sich davor in eine kleine Ecke, da winkte Li, ihr kleines Gesicht zuckte weiß unter hohen, rasierten Brauen. Sie schob mir ihr Glas hin, eigensinnig zwang sie mich, es auszutrinken, und sie legte die schmalen Hände um den Nacken des Norwegers, tanzend schwebte sie vorüber, und er hing mit den Augen an ihren Lippen.
Dann kam die kühle Winternacht uns entgegen, Lange ging neben mir und sprach in unbeholfenem Deutsch. »Es ist schade um Sie«, sagte er, »Sie wissen nicht, wie gefährlich die mongolischen Mädchen sind«, das war Li, und ich nickte, obwohl Li nicht gefährlich ist, ein zuckendes Porzellangesichtchen unter schmal rasierten Brauen, weiße Hände, auch sie unaufhörlich zuckend auf den Schultern der Männer, die sie durch das Gewühl der Tanzenden trugen – Li lächelt ja, ein ängstliches Kinderlächeln kann um ihren Mund sein, und ich weiß, dass die Männer seine Süßigkeit lieben, aber was ist das: neben dem Lächeln der Kleinen, der Blonden und Unschuldigen, die ohne Absicht sind und uns draußen in der Sonne begegnen, die uns ansehen und die man lieb hat, auch wenn man müde ist und schlecht geworden vom leise beginnenden Ekel aus Lachen und Fröhlichkeit, aus dem Zuviel von Rauch und Lärm?
Wie wohltuend streift die kühle Nachtluft mein Gesicht, Schnee klebt noch an meinen Schuhen. Schon ist neues Licht da, jemand nimmt mir die Skistöcke ab, ich gebe Lange die Hand, der eilig die Treppen hinaufgeht. Nun läute ich, der Liftboy schließt die Türe hinter mir, ich stehe mit gesenktem Kopf, während der Lift in der Halle hält: Einen Augenblick dringt Wärme und Geräusch hinein, ich hebe die Augen, eine Frau steht mir gegenüber, sie trägt einen weißen Mantel, ihr Gesicht ist braun unter dunklem, männlich herb aus dem Gesicht gekämmtem Haar, ich erstaune vor der schönen und leuchtenden Kraft ihres Blickes, und nun begegnen wir uns, eine Sekunde lang, und ich fühle unwiderstehlich den Drang, mich ihr zu nähern, herber, schmerzlicher noch, dem ungeheuren Unbekannten zu folgen, das sich wie Sehnsucht und Aufforderung in mir regt –
Ich senke die Augen und trete einen Schritt zurück. Der Lift hält. Der Boy öffnet die Türe, mit einer kaum wahrnehmbaren Neigung des Kopfes geht die fremde Frau an mir vorüber –
24. Dez. 1929




Es ist spät geworden, und ich bin müde. Zuerst waren noch Andere mit mir, wir tranken Kaffee, spät erst aßen wir zu Abend, die meisten Tische im Restaurant waren leer. Neben uns saß der alte Herr, der mich gestern zu einer Schlittenfahrt eingeladen hatte und der mich abends an Frau Bernsteins Tisch führte, damit ich sie kennen lerne. Er lächelte mir zu, hob sein Glas und neigte sich grüßend gegen mich. Ich fühlte, dass nur die Anwesenheit Anderer ihn davon abhielt, zu sagen »Zum Wohl Ena Bernsteins «, und ich nickte ihm lächelnd zu, in mir aber brach eine Welle von Blut heftig auf und drang beklemmend an mein Herz. Schweigend aß ich weiter und warf nur hie und da einen Blick auf die große Türe des Restaurants, obwohl ich wusste, dass sie nicht mehr kommen würde, hatte sie mir doch selbst gesagt, dass sie abends in ihrem Zimmer esse oder bei ihrer Freundin.
Endlich standen wir auf, der Kellner begleitete uns bis an die Türe, welche die beiden braungekleideten Boys eilig und mit devoter Verbeugung aufrissen. Ich blickte umher, mit heimlichem Unbehagen bemerkte ich, dass der Tisch von Direktor Boheim leer war, endlich gewahrte
ich den alten Herrn, der mir von seinem einsamen Platz aus winkte, und folgte mit Erleichterung seiner Aufforderung, neben ihm Platz zu nehmen. Ein paar Mal kam Lange vorüber, er fragte, ob ich tanze, und als ich das zweite Mal zustimmte und mit ihm in die anstoßende Bar ging, benutzte er die Gelegenheit, um mich eindringlich zu bitten, mit ihm ins Dorf zu fahren, um einige Stunden mit seinen Freunden im Palace zu tanzen, und es gelang mir erst nach längeren Überredungsversuchen, ihn von diesem Plan abzubringen. Ich versprach ihm, meine Vettern – die kraft ihres Hüteramtes doch eine gewisse Gewalt über mich besäßen – von der Harmlosigkeit eines solchen Unternehmens zu überzeugen und demgemäß einen der nächsten Abende für ihn zu reservieren. Im Übrigen machte ich Lange den Vorschlag, mindestens meinen jüngsten Vetter Erwin mit einzuladen, während der Ältere, Wolfgang, weniger wegen eigener Abneigung als durch die energische Haltung seiner Frau hierzu weniger geeignet erschien.
Als wir in die Halle zurückkamen, trafen wir gerade auf Wolfgang und Lucy, die den Lift erwarteten. Ich frug nach Erwin, versprach, ihn zu unterhalten, und wünschte ihnen eine gute Nacht. Schon im Aufzug, rief mir Lucy noch nach, sie schicke Rudi morgen um neun Uhr in die Halle, ob ich ihn zum Skilaufen mitnehmen wolle. Nachdem es mir gelungen war, Erwin mit Lange hinter einem Glas Whisky unterzubringen, konnte ich endlich zu meinem alten Herrn zurückkehren, der sich inzwischen in eine englische Wochenzeitung vertieft hatte. Er bot mir einen Stuhl an und bestellte neuen Kaffee, zog dann ein silbernes Zigarettenetui aus der Tasche und reichte es mir herüber. Dabei fiel mir eine Photographie auf, die in den Deckel geschoben war und auf welcher ich augenblicklich den schmalen Kopf, die herben und männlich klaren Züge Ena Bernsteins erkannte. Vielleicht zuckte ich einen Moment zurück, jedenfalls nahm er mit einem kleinen Lächeln die Photographie heraus, legte sie in meine Hand und bat mich, sie zu behalten. Verwirrt sah ich auf, unsicher über die Meinung seines Angebots, er aber nickte freundlich. »Die Photographie steht Ihnen eher zu als mir«, sagte er, »es ist die gerechte Strafe für meine Anmaßung (sie bei mir zu tragen), dass ich sie jetzt freiwillig in die Hand eines jungen Menschen lege, dessen Ansprüche besser zu seinen Wünschen passen als die meinen.« Es schien mir, als sei er bei diesen Worten gealtert, seine Haltung verlor einen Augenblick an Spannung, und sein ruhiges und wahrhaft edles Gesicht neigte sich müde den gefalteten Händen zu.
Nachher erzählte er mir, als müsse er mir liebevoll die Richtigkeit seiner Worte beweisen und mich in meinen Ansprüchen – die ich nicht geäußert hatte – bestätigen und ermutigen.
Zum ersten Mal hörte ich den Namen Ena Bernstein in einem menschlich warmen Zusammenhang, ausgesprochen von einem Menschen, der sie kannte, der ihren Wegen seit vielen Jahren folgte, als ein Anspruchsloser und Verborgener, dessen Liebe sie nie nahe genug berührt hatte, um das Geheimnis ihres Wesens aufzulösen oder die Spannung ihrer kraftvollen und schönen Gegenwart durch Gewohnheit und Abnutzung zu vermindern. Und wenn ich diesen Namen erst gestern gelernt hatte mit einer Frau zu verbinden, die ihrerseits erst seit einigen Tagen in den Bereich meines Lebens getreten war, wenn ich bisher in scheuer Sehnsucht ihre Nähe erhofft hatte, wenn ich beinahe erschrocken zurückgewichen war vor der übermäßigen Anziehung, die sich seit jener ersten Begegnung im Lift stündlich wiederholte und verheerend in mir Raum ergriff, wenn solchermaßen alle gesammelte Kraft dieser glücklichen Tage sich plötzlich auf ein Ziel warf, eine Sehnsucht, noch ungeklärt und nicht in Worte zu fassen, aber unumstößlich im heimlichsten meiner Gefühle, – so erschien mir Ena Bernstein hier auf einmal bloßgestellt, in schreckliche Nähe gerückt, als könnte sie vor uns auftauchen, sich neben mich setzen, mich zwingen, ihre Gegenwart zu ertragen und alles zu erleben, was von ihr dem Mann mir gegenüber offenbart worden war. Und wie viel schwerer zu begreifen war die wirkliche, die geschehene Macht dieser Frau als die wie Sehnsucht im Blut erfühlte, die man immer noch zurückweisen konnte, verleugnen oder als Rebellion des eigenen Wesens verdammen –
Denn konnte man etwas vernichten, was ein Anderer, ein Fremder, sprach, und ging davon nicht eine bezwingende Macht aus, der man sich hingab, ja mit einer heimlichen Freude hingab, so als hätte man dazu irgendeine Berechtigung erlangt? Oh, ich kannte diese Dinge wohl, von denen der alte Herr
mir erzählte, und ich begriff, dass er nach Worten suchte, um sie auszudrücken; aber während er immer mehr in eine Art einsamer Traurigkeit versank, saß ich in fiebernder Erregung, mir war als erglühe nun erst mein Herz in einer starken Kraft, ich fühlte meine Jugend wie ein Geschenk und erstaunte darüber, als wäre darin der Schlüssel zu den Seligkeiten, die sonst nur in Träumen sich uns offenbaren –




Kurztext / Annotation
»Sie ruiniert mich mit ihrer Liebe.«

Beschreibung
Weihnachten 1929: Im Fahrstuhl eines Hotels in den Schweizer Alpen trifft die junge Erzählerin auf eine fremde, geheimnisvolle Frau. Ein magischer Moment, der alles verändert und unstillbares Verlangen weckt.
Offen bekennt sich Annemarie Schwarzenbach zu ihrer Liebe zu Frauen und setzt sich damit kühn über gesellschaftliche Schranken hinweg. »Eine Frau zu sehen« ist voll knisternder Erotik, Sehnsucht und Leidenschaft.

Über Annemarie Schwarzenbach


Annemarie Schwarzenbach wurde 1908 als Kind einer Zürcher Industriellenfamilie geboren. Nach dem Studium in Zürich und Paris veröffentliche sie mit 23 Jahren ihren ersten Roman Freunde um Bernhard. Von 1933 an unternahm die rastlose Schriftstellerin und Journalistin, die eine enge Freundschaft mit Klaus und Erika Mann verband, Reisen in ferne Länder, über die Sie in zahlreichen Reportagen schrieb. Sie starb 1942, geschwächt durch lange Jahre der Drogensucht, an den Folgen eines Fahrradunfalls.



Über Annemarie Schwarzenbach

Annemarie Schwarzenbach wurde 1908 als Kind einer Zürcher Industriellenfamilie geboren. Nach dem Studium in Zürich und Paris veröffentliche sie mit 23 Jahren ihren ersten Roman »Freunde um Bernhard«. Von 1933 an unternahm die rastlose Schriftstellerin und Journalistin, die eine enge Freundschaft mit Klaus und Erika Mann verband, Reisen in ferne Länder, über die Sie in zahlreichen Reportagen schrieb. Sie starb 1942, geschwächt durch lange Jahre der Drogensucht, an den Folgen eines Fahrradunfalls.