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Grundrechtliche Grenzen des Lockdowns

Beitrag von Richard Maria Raphael Eibl, LL.M.


Ein Lockdown stellt neben zahlreichen anderen Grundrechtseingriffen vordergründig einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht dar. Dessen Schutzbereich umfasst auch Handlungen, die schädlich oder gefährlich für die/den Grundrechtsberechtigte/n sein können.

Schutz vor Selbstgefährdung unzulässig

Rechtfertigungsmöglichkeiten dieser Grundrechtseingriffe bietet grundsätzlich der Gesundheitsschutz. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR bedürfen Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht aus Art 8 EMRK jedoch selbst dann einer Rechtfertigung, wenn sie dem Schutz des Lebens der/des Betroffenen dienen. Ein Lockdown zum Schutz vor Selbstgefährdung ist verfassungsrechtlich daher unzulässig.


Schutz vor Fremdgefährdung als legitimes Eingriffsziel

Aus grundrechtsdogmatischer Sicht darf die Freiheit der/des Einzelnen außer in den Fällen defizitärer Autonomiefähigkeit nur dort eingeschränkt werden, wo ihre Ausübung die Freiheit der Anderen beeinträchtigt. Der Schutz von Menschen, die vor Ansteckungen durch andere Personen geschützt sein möchten, stellt somit ein legitimes Eingriffsziel eines Lockdowns dar.

Mangelnde Erforderlichkeit

In Bezug auf diesen Schutzzweck erweist sich ein Lockdown jedoch als nicht erforderlich iSd gebotenen Verhältnismäßigkeit, weil für diese Bürger:innen immer das gelindere Mittel einer rein fakultativen Selbstisolation zur Verfügung steht.  Für sie ist nichts gewonnen, wenn allen eine Selbstisolation aufgezwungen wird, für die sie sich ohnehin entschieden hätten bzw entscheiden hätten können, denn es steht jeder/jedem frei, den Besuch eines Restaurants oder eine Zusammenkunft freiwillig zu unterlassen.

Schutz vor einer Überlastung des Gesundheitssystems

Schließlich kann die Verhängung eines Lockdowns noch den Schutz vor einer Überlastung des Gesundheitswesens bezwecken. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR verletzt ein Staat seine Schutzpflichten aus dem Recht auf Leben gemäß Art 2 EMRK, wenn Spitäler den Zugang zu lebensrettender Versorgung verwehren und der für diesen Vorgang ursächliche Missstand des Gesundheitssystems struktureller und gesetzlicher Natur ist. Damit kommt dem Schutz vor einem Ausfall lebensrettender Versorgung jedenfalls eine schwerwiegende Bedeutung zu und stellt dieses Ziel eine legitime Zweckgrundlage für die Verhängung eines Lockdowns dar. 

Die Einschätzungsprärogative in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit eines Lockdowns hat der Gesetzgeber. Ihm ist prinzipiell ein weiter Beurteilungsspielraum (hinsichtlich der Einschätzung des Bedrohungspotentials des COVID-19-Virus) und Gestaltungsspielraum (hinsichtlich seiner Reaktion auf dieses Bedrohungspotential) zuteil, der mit dem Zugewinn an Erfahrung, Wissen und medizinischer Technologie kleiner wird. 

Staatliche Pflichten

Gleichzeitig trifft den Gesetzgeber eine ständige Beobachtungs- und Anpassungspflicht, weil einem Lockdown durch den Wegfall der Bedrohung einer gesundheitskapazitären Überlastung die verfassungsrechtliche Grundlage entzogen wird. Zudem erfordert das verfassungsrechtliche Legalitätsgebot, dass Verordnungen nur auf Grundlage eines Gesetzes erlassen und im Einklang damit ausgeübt werden. Außerdem ist der Verordnungsgeber informationspflichtig, sodass er im Verordnungserlassungsverfahren festhalten muss, auf welchen Evidenzgrundlagen die Verordnungsentscheidung fußt. Letztlich besteht auch eine grundsätzliche staatliche Entschädigungspflicht für von Betretungsverboten betroffenen Betriebseigentümern:innen.

2. Dezember 2021


Richard Maria Raphael Eibl, LL.M.

ist Geschäftsführer eines Prozessfinanzierungsunternehmens, das österreichweit gerichtliche Sammelverfahren im Bereich Mietrecht, Glücksspielrecht, Schadenersatzrecht und Epidemierecht für eine Erfolgsbeteiligung finanziert.


© privat

 

Literatur zum Thema

Grundrechtliche Grenzen des Lockdowns

Sind Massenquarantäne und Impfdiskriminierung verfassungswidrig?

Grundrechtliche Grenzen des Lockdowns

Veröffentlicht 2021
von Richard Maria Raphael Eibl bei facultas
ISBN: 978-3-7089-2227-0

Die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verhängten Lockdowns stellen die gravierendsten Grundrechtseingriffe der Zweiten Republik dar. Zahlreiche verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte werden zugunsten eines Schutzguts – der Gesundheit – auf rechtshistorisch einmalige Weise in den ...