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Sämtliche Werke - Band 6

Sämtliche Werke - Band 6

Tagebücher VI: Strahlungen V

Sämtliche Werke - Band 6
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Veröffentlicht 2015, von Ernst Jünger bei Klett-Cotta

ISBN: 978-3-608-96306-9
Auflage: 1. Auflage
589 Seiten
20.7 cm x 12.5 cm

 


Mit Band 6 wird »Siebzig verweht III« in die Ausgabe der »Sämtlichen Werke« übernommen. Der Band enthält die Tagebuchaufzeichnungen der Jahre 1981–1985.


(Der vorliegende Band entspricht Band 20 der gebundenen Ausgabe.)


Den Stoff liefert die Einlassung mit dem ...
Textauszug


Siebzig verweht III




Wilflingen, 1. Januar 1981


Blick aus dem oberen Fenster: das Land zeigt dunkle Konturen, wie oft, wenn es auf den Schnee geregnet hat.


Vor einigen Tagen hatten wir starken Nebel, den die Sonne nicht zu durchdringen vermochte, doch lösten sich ihre Strahlen zu einem rosigen Schimmer auf. Vielleicht hat es auf unserem oder anderen Planeten diese Stimmung im Großen gegeben: Helios kündigt sich durch Morgenröte an. Er wird, noch nicht gesehen, durch Jahrhunderte geahnt.


*




Ein neues Jahr beginnt. Persönlich könnte ich mit dem vergangenen zufrieden sein, indes beschattet der Mißstand der Welt und insbesondere des eigenen, zerrissenen Landes Tag und Nacht das Gemüt. Es ist ein Nachteil der historischen Erziehung, daß die Bindung nicht gelöst werden kann. Man irrt noch, wie Hannibal nach Zama, eine Zeitlang in der Fremde umher.


Der Wert des Menschen sinkt ständig; man darf sich nicht an die großen Worte halten, die billiger denn je geworden sind, sondern muß die Realitäten sehen. Zu ihnen zählt die Geiselnahme; von Banditen werden Millionen, von Staaten Milliarden als Kopfgeld verlangt. Der materielle Wert des Menschen wird maßlos übertrieben, das Geheimnis seiner Tugend nicht mehr gesehen.


Sodann die ungeheure und kurzlebige Verblendung der Massen – in diesen Tagen wieder am großen Vorsitzenden Mao dokumentiert. Das Prachtgewand des noch vor kurzem Vergöttlichten blättert wie Rauschgold ab.


*




Wunderlich berührt mich immer noch, daß man nach einst sagenhaften Orten, etwa nach Singapur, nicht nur telefonieren, sondern sogar »durchwählen« kann. Ich führte das erste Gespräch des Jahres dorthin mit Wolfram Dufner, den wir im Februar besuchen wollen, und erfuhr, daß soeben große Falter um das Schwimmbecken flatterten. Ich hoffe auf ein Wiedersehen auch mit den Mangrovesümpfen – die Stimmung dort, der Übergang von einem Element zum anderen, ähnelt unserer Weltlage.


*




Das erste Kalenderblatt zeigt das Porträt des englischen Poeten Davison, gemalt von Louise Breslau (1856–1927). Die Namen beider Künstler fand ich nicht in meiner Handbibliothek – trotzdem wundert es mich, daß ein so bedeutendes Werk mir bislang entgangen ist.


Der Impressionismus eignet sich besonders für das Porträt – vielleicht wäre hinzuzufügen: soweit es unserer Auffassung von der Person entspricht. Es genügt allerdings nicht, den Impressionismus zwischen dem Naturalismus und dem Expressionismus anzusiedeln – etwa zwischen Leibl und Beckmann; er gibt eine Stimmung, die sich im Wandel der Zeit wiederholt.


*




Über den Jahreswechsel hinweg beschäftigt mich Gregor von Nyssa mit seiner Erklärung der Auferstehung als der Rückkehr in die vollkommene Natur. Dem entspricht die ungemein kühne Ansicht des Origines, daß die Schöpfung nur ein Niederschlag aus dem Vollkommenen sei, Beide Meinungen fordern einander geradezu heraus.


In dieser Hinsicht läßt sich auch das Kunstwerk als Niederschlag bezeichnen: der Künstler erinnert sich im Tiefsten einer Vollkommenheit, die er nie erreicht.


Was ist die Rolle der Götter dabei? Vielleicht die von Türöffnern. Doch wenn ihr Äon endet, betreten sie als Letzte den Palast. Die Gebete verhallen an der Mauer; sie wirken nicht mehr.






Ludwigsburg, 3. Januar 1981


Zur Tagung der Südwestdeutschen Entomologen, wie alljährlich um diese Zeit.


Unterwegs im Radio Nachrichten. Dabei eine der jedem Autofahrer bekannten Störungen: der Ton fällt unter Brücken und Leitungen aus, oder er wird korrumpiert. Daß wir uns in einem Geflecht von Strahlungen bewegen, von dem wir nur einen Faden oder das wir überhaupt nicht wahrnehmen, wird uns erst durch ein solches Manko bewußt.


Wir dürfen wohl auch vermuten, daß diese Differenzen erheblich auf unser Befinden einwirken, ähnlich wie der Luftdruck bei Föhn. Doch fehlt uns ein spezielles Organ für elektrische Einflüsse, wie sie uns für das Licht oder den Schall gegeben sind. Die Natur hat darauf verzichtet wie vermutlich auf andere Möglichkeiten auch – etwa die unmittelbare Wahrnehmung der Kernstrahlung.


Daß die Elektrizität in den organischen Haushalt eingegliedert werden könnte, deutet sich in Geschöpfen wie den Rochen und den Zitteraalen an. Fähigkeiten, die wir erst spät durch Apparate entwickelt haben, würden uns auf natürliche Weise zu eigen sein. Ein großer Teil der Nachrichtentechnik wäre überflüssig – und davon abgesehen, ließe sich an ein kollektives Gehirn denken, also an eine völlig andere Welt.


*




Bei den Entomologen wurde eine »Rote Liste« verteilt – ein Verzeichnis von Tieren, die unter Naturschutz gestellt worden sind. Das scheint löblich, wenn man nicht näher hinsieht, ist aber im Grunde lächerlich. Als ich in Wilfingen einzog, fand ich Massen von Insekten, die dort inzwischen ausgestorben sind. Allein die Obstbäume auf den Wiesen werden an siebzehn Mal gespritzt. Ich präparierte damals zwei oder drei Exemplare und sicherte damit den Arten wenigstens die museale Existenz.





Kurztext / Annotation


Mit Band 6 wird »Siebzig verweht III« in die Ausgabe der »Sämtlichen Werke« übernommen. Der Band enthält die Tagebuchaufzeichnungen der Jahre 1981–1985.




Der vorliegende Band entspricht Band 20 der gebundenen Ausgabe.





Beschreibung


Mit Band 6 wird »Siebzig verweht III« in die Ausgabe der »Sämtlichen Werke« übernommen. Der Band enthält die Tagebuchaufzeichnungen der Jahre 1981–1985.




(Der vorliegende Band entspricht Band 20 der gebundenen Ausgabe.)




Den Stoff liefert die Einlassung mit dem Nächsten und dem Fernsten: mit Haus und Garten und Feld und Wald und mit Großstädten und fremden Weltgegenden, mit dem Glück der subtilen Jagd und mit den Verwüstungen der als unvermeidbar erkannten Technik, mit Freund und Feind, mit Leben und Tod. Ein Aufnahmevermögen, das durch die Erfahrungen eines langen Lebens und durch einen Schub immer stärker sich einmischender Träume geschärft ist, erfasst die Symptome einer gewaltigen Veränderung, die Jünger als den Großen Übergang von der Welt- zur Erdgeschichte deutet.




Sein Tagebuch beschränkt sich nicht auf diaristische Einträge, sondern es erweitert sie durch Briefe, Dokumente, analytische Betrachtungen und Maximen, auch durch Ausflüge in die literarische und die politische Vergangenheit.




Über Ernst Jünger


Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 1901–1912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 1914–1918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens »Pour le Mérite«. 1919–1923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings »In Stahlgewittern«. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 1936–1938 Reisen nach Brasilien und Marokko. »Afrikanische Spiele« und »Das Abenteuerliche Herz«. Übersiedlung nach Überlingen. 1939–1941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 1946–1947 »Der Friede«. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen »Werke«. 1966–1981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.



Über Ernst Jünger

Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 1901–1912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 1914–1918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens »Pour le Mérite«. 1919–1923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings »In Stahlgewittern«. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 1936–1938 Reisen nach Brasilien und Marokko. »Afrikanische Spiele« und »Das Abenteuerliche Herz«. Übersiedlung nach Überlingen. 1939–1941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 1946–1947 »Der Friede«. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen »Werke«. 1966–1981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.