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Das Andere denken

Das Andere denken

Repräsentationen von Migration in Westeuropa und den USA im 20. Jahrhundert

Das Andere denken
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Veröffentlicht 2013, von Gabriele Metzler bei Campus

ISBN: 978-3-593-39900-3
Auflage: 1. Auflage
Reihe: Eigene und fremde Welten
331 Seiten
2 sw Abb.
21.3 cm x 14 cm

 
Zuwanderung und ethnische Minderheiten prägten die westlichen Gesellschaften im 20. Jahrhundert. Aus Begegnungen mit den »Fremden« entstanden in Wissenschaft, Politik und Alltag Deutungen »des Anderen«, die in diesem Band thematisiert werden. Behandelt werden unter anderem juristische Diskurse über »Volksgruppen« in Österreich, die Wahrnehmung von Arbeitsmigranten in Deutschland oder die ...
Werbliche Überschrift
Eigene und Fremde Welten

Textauszug
Einleitung


Gabriele Metzler


Die europäischen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts waren »Gesellschaften
in Bewegung«. Menschen verließen ihre Heimat, um sich vor
kriegerischen Auseinandersetzungen in Sicherheit zu bringen; sie wurden
zur Abwanderung gezwungen, weil irrwitzige, menschenverachtende
Siedlungsprogramme dies vorsahen; oder sie suchten anderswo nach
besseren Lebenschancen, nach Arbeit und Wohlstand. Erfahrungen
mit diesen Formen und Ursachen von Migration waren im Europa
des 20. Jahrhunderts nicht neu, sondern ließen sich über Jahrhunderte
zurückverfolgen. Gleichwohl blieben Migranten und Migrantinnen in
den Ankunftsgesellschaften die ›Fremden‹, die ›Anderen‹, die, wenn nicht
als Bedrohung, so doch als Herausforderung der bestehenden Ordnung
betrachtet wurden. Dies galt umso mehr für jene Zuwanderer aus Räumen
außerhalb Europas, die im Gefolge der Auflösung der europäischen
Kolonialreiche nach dem Zweiten Weltkrieg in wachsender Zahl den
Kontinent erreichten und hier gerade die Gesellschaftsgeschichte von
Staaten mit starker kolonialer Tradition (namentlich Großbritannien und
Frankreich) prägten.


Historiker und Sozialwissenschaftler haben lange Zeit den gesellschaftlichen
Wandel in Folge von Migration in der nüchternen Sprache
demographischer Statistiken verhandelt. Sie haben nach der Entwicklung
des Politikfeldes ›Einwanderungspolitik‹ gefragt und danach, wie Einbürgerungspolitik
und Staatsangehörigkeitsrecht auf die sich wandelnden
Gegebenheiten reagierten. Dafür, dass die Forschung dabei nicht selten auf zeitgenössische Zuschreibungen und Kategorien zurückgriff, wurden Historiker im Grunde erst im Zuge ihrer Öffnung gegenüber kulturwissenschaftlichen
Zugängen sensibel, wie Imke Sturm-Martin in ihrem
Beitrag zeigt. ›Immigrant‹ und ›Emigrant‹ sind solche Zuschreibungen;
aber auch Bezeichnungen für ethnische Minderheiten und überhaupt die
Kategorie ›Ethnizität‹ sind essentialistische Deutungen, die ein ›So-sein‹
absolut setzen und soziale und kulturelle Hierarchisierungen a priori in
sich tragen. Dies gilt auch für vermeintlich positive, Migrantinnen und
Migranten gegenüber aufgeschlossene politische Konzepte wie dasjenige
des ›Multikulturalismus‹, das in den 1990er Jahren eine kurze Blütezeit
erlebte, inzwischen aber selbst kritisch hinterfragt wird. Sebastian Berg
erhellt dies in seinem Beitrag am britischen Beispiel.


Aus der Verbindung von cultural turn und postkolonialen Perspektiven
haben Historiker und Sozialwissenschaftler sich neue Sehweisen auf Migration
und Migrationsgesellschaften angeeignet. Das kulturwissenschaftliche
Konzept der ›Repräsentation‹ erweist sich als geeignetes Instrument,
nach Konstruktionen von Weltsichten zu fragen. Repräsentationen sind
Organisationsformen des Wissens, mit deren Hilfe Menschen die Welt,
die sie umgibt, deuten und ihr Sinn verleihen; mit denen sie einander
begegnen und die ihre Begegnungen vorstrukturieren. Menschen haben
immer schon eine Vorstellung vom ›Anderen‹, wenn sie dem ›Anderen‹
begegnen; und ohne ›das Andere‹ können sie ›das Eigene‹ gar nicht erkennen.
In der Begegnung verändern sich Repräsentationen, und zwar
immer sowohl vom ›Anderen‹ als auch vom ›Eigenen‹. In diesem Sinne
stellen Repräsentationen soziale Ordnung nicht nur dar, sondern sie stellen
sie immer auch her. Das zeigt die Geschichte der westeuropäischen
und US-amerikanischen Gesellschaften, wie sie die Beiträge dieses Bandes
beleuchten, geradezu beispielhaft.


Wenn nach Formen und Organisation von Wissen über soziale
Zusammenhänge gefragt wird, rücken in modernen Gesellschaften die
Wissenschaften zwangsläufig ins Blickfeld. Denn in ihnen haben sich
wissenschaftliche Experten als Deutungseliten etabliert, die Kategorien
zur Erfassung sozialer Phänomene vorgeben und dadurch sozialen Handlungssinn
produzieren. Expertenwissen ist eine Form der Repräsentation
sozialer Ordnungen, aus dem sich immer auch handlungsleitende Perspektiven
gewinnen lassen. Wissenschaftliche (Sub-)Disziplinen können
entstehen, wenn gesellschaftliche Entwicklungen als problematisch und
bedrohlich für die bestehende Ordnung gedeutet werden, genauso wie
vor diesem Hintergrund Sozialexperten auf Basis ihrer Deutungen social
engineering propagieren und betreiben können. Im einzigen Aufsatz in
diesem Band, der über Westeuropa und die USA hinausgeht, beleuchtet
Alexander Pinwinkler am Beispiel am Beispiel der österreichischen Ersten
Republik und des austrofaschistischen ›Ständestaates‹, wie Statistiker und
Rechtswissenschaftler Kategorien von ›Minderheiten‹ und ›Volksgruppen‹
schufen, aus denen sich politische Handlungsmaximen ableiteten. Reet
Tamme zeigt, wie sich die race relations-Forschung in Großbritannien
nach der Erfahrung der ›Rassenunruhen‹ (auch dies eine zeitgenössische
Zuschreibung!) am Ende der 1950er Jahre etablieren und für lange Zeit
die maßgeblichen Deutungen sozialer Ordnung vorgeben konnte. Der
Beobachtung und Beschreibung des ›Anderen‹ durch Experten sind
(normative) Ansichten über das ›Eigene‹ stets immanent, etwa wenn
Familienstrukturen und familiäre Praktiken als ›fremd‹ markiert werden.
Claudia Roesch zeigt dies für die US-amerikanischen Sozialexperten und
verdeutlicht zugleich, dass in ihrem Blick auf mexikanische Familien
immer Repräsentationen der weißen amerikanischen Familie mit verhandelt
wurden. Die ›Fremden‹, die ›Migranten‹, die ›Anderen‹ erscheinen
in diesem Kontext als bloße Objekte hegemonialer Zuschreibung und
Abgrenzung. Auf diese Weise werden der ›koloniale Blick‹ und koloniale
Praktiken der Inklusion und Exklusion in postkolonialen Gesellschaften
perpetuiert. Jedoch treten im selben Maße wie solche Perpetuierungen
auch Prozesse der Subjektivierung zutage, die in jüngerer Zeit auch als
solche wissenschaftlich ernst genommen und nicht auf das bloß Folkloristische
reduziert werden. Das Beispiel der race relations-Forschung
gibt darüber in geradezu paradigmatischer Weise Auskunft, zog die etablierte Forschung auf diesem
Feld seit Beginn der 1970er Jahre doch
die scharfe Kritik auf sich, sie wurde die bestehende hegemoniale weise
Ordnung blos affirmieren. Theoretiker der aufkommenden Postcolonial
Studies machten deutlich, wie sehr essentialistische Zuschreibungen dominierten
und wie das .Anderssein. in soziale Ordnungen eingeschrieben
wurde. Prozesse der Subjektivierung lassen sich auch in kulturellen
Praktiken erkennen, in denen Migranten und Migrantinnen ihre eigenen
Vorstellungen von dem, was sie sind, und von der Welt, aus der
sie kommen, mitteilen. Dass es die gemeinsame Vergangenheit und
die verbindenden Traditionen aus der Herkunftsgesellschaft nicht gibt,
sondern dass sie ebenfalls (durchaus kontrovers) ausgehandelt werden,
legt das Konzept der .Reprasentation. bereits nahe. Deutungen der Welt
und des eigenen Wir in der Welt werden auf die Strase getragen, sie
werden offentlich gemacht, sei es in Festen, sei es in der Musik oder
in anderen Vermittlungsformen. Hybride Identitaten entstehen,. wenn
etwa Jugendliche maghrebinischer Herkunft sich Marseille als einen
Raum aneignen und ihn als eigenen Raum deuten, wie Daniel Todts
Beitrag uber die franzosische Rapmusik zeigt. Gleiches gilt fur die afrokaribischen
Gruppen, die ab Ende der 1950er Jahre in London Carnival
als eigene Tradition(en) entdecken, deuten und praktizieren. Sebastian
Klos macht in seinem Beitrag deutlich, wie sehr der Notting Hill Carnival
Gegenstand kontroverser Aushandlungen war, eine Projektionsflache, auf
die sich unterschiedliche Deutungen jamaikanischer oder trinidadischer
Traditionen richten liesen. West Indian culture wurde, zugespitzt formuliert,
erst in London erfunden. Monika Salzbrunns ethnographische
Untersuchung der Stadtteilfeste im X. Pariser Arrondissement belegt, wie
stadtische Raume zu Schauplatzen werden, an denen Reprasentationen
abgeglichen werden und sich wandeln; neue Identitaten entstehen, die
sich am konkreten, erfahrbaren lokalen Raum festmachen.

Beschreibung
Zuwanderung und ethnische Minderheiten prägten die westlichen Gesellschaften im 20. Jahrhundert. Aus Begegnungen mit den »Fremden« entstanden in Wissenschaft, Politik und Alltag Deutungen »des Anderen«, die in diesem Band thematisiert werden. Behandelt werden unter anderem juristische Diskurse über »Volksgruppen« in Österreich, die Wahrnehmung von Arbeitsmigranten in Deutschland oder die Veränderung von Sprache und Esskultur durch neue Einflüsse. Dabei werden sowohl die Selbstdeutungen und kulturellen Praktiken von Migranten als auch der Wandel in den »Aufnahmegesellschaften « in den Blick genommen.

Über Gabriele Metzler

Gabriele Metzler ist Professorin für Geschichte Westeuropas und der transatlantischen Beziehungen an der HU Berlin.