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Der Schatten eines Lächelns

Der Schatten eines Lächelns

Roman

Der Schatten eines Lächelns
Hardcover 19,40
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Veröffentlicht 2010, von Kachi A. Ozumba bei Transit, Alma Books London

ISBN: 978-3-88747-243-6
Auflage: 1. Auflage
254 Seiten
22 cm x 15 cm

 
'Der Schatten eines Lächelns' ist eine beunruhigende, fesselnde Geschichte in einer Gesellschaft am Rande von Willkür und Gesetzlosigkeit. Zuba, der Held des Romans, ein eher schüchterner Junge von 21 Jahren, muss plötzlich wegen einer schweren Krankheit seines Vaters dessen private Oberschule übernehmen; als er die angestellte Direktorin wegen offensichtlicher Betrügereien feuert, dreht ...
Beschreibung
'Der Schatten eines Lächelns' ist eine beunruhigende, fesselnde Geschichte in einer Gesellschaft am Rande von Willkür und Gesetzlosigkeit. Zuba, der Held des Romans, ein eher schüchterner Junge von 21 Jahren, muss plötzlich wegen einer schweren Krankheit seines Vaters dessen private Oberschule übernehmen; als er die angestellte Direktorin wegen offensichtlicher Betrügereien feuert, dreht diese den Spieß gekonnt um: er wird von ihr und ihrem treuherzig wirkenden Ehemann des Raubes und der schweren Körperverletzung bezichtigt, bestochene Polizisten nehmen ihn und seinen Freund Ike fest. So geraten sie in das Labyrinth einer geldgierigen Justiz und eines rätselhaft organisierten Gefängnissystems, eine für sie zunächst undurchschaubare Welt, in der sie aufgrund ihrer Naivität und Ahnungslosigkeit in äußerst bedrohliche, aber auch äußerst kuriose Situationen geraten – bis zu ihrer klug und mutig eingefädelten Befreiung.In einer klaren und ironisch gefärbten Sprache gelingt Kachi Ozumba in seinem ersten Roman ein überraschendes und facettenreiches Bild des heutigen Afrika, verbunden mit präzisen und oft auch komischen Porträts von Häftlingen, Polizisten, Frauen und Männern innerhalb und außerhalb des Gefängnisses – ein Roman, der mit seiner Genauigkeit, seiner Vielfalt von Beobachtungen und seinem Einfallsreichtum jeden Leser berührt und bereichert.

Besprechung
'›Der Schatten eines Lächelns‹ nimmt die Leser mit auf eine Exkursion durch die Katakomben afrikanischer Verhältnisse. Ozumba besitzt die erstaunliche Begabung, detailgenau und spannend zu erzählen.'
The Independent, London


Erstes Kapitel
1. Kapitel

DIE ZWISCHENWELT

New Man

Der Polizist wies mit dem Gewehr, das von seiner Schulter baumelte, die Richtung.
'Hier lang, mister man.'
Zuba betrat einen halbdunklen Gang. Seine Schritte hallten auf dem aufgeplatzten Betonboden, der mit zertrümmerten Resten eines Besenstiels bedeckt war. Die gelben Wände waren ebenso von Flecken übersät wie die Albino-Haut des Polizisten. Ein beißender Geruch, eine Mischung aus kaltem Schweiß, Urin, Verfaultem und Trostlosigkeit hing in der Luft.
'Du glaubst, Sohn von reichem Mann braucht nicht in Zelle?', schrie der Polizist hinter ihm.
Die Worte trafen ihn nicht, jetzt nicht mehr. Jede Menge Beschimpfungen waren während des Verhörs auf Zuba eingeprasselt, und er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt. Mit leerem Blick ging er den Gang entlang. Ike folgte ihm, das Gesicht starr vor Zorn. Die Handfläche des Vernehmers zeichnete sich immer noch auf seiner Wange ab.
Der Gestank steigerte sich, als sie an den verrosteten und verdreckten Gitterstäben einer Tür vorbeigingen. Dahinter Männer mit nacktem Oberkörper, die im Halbdunkel auf dem Fußboden kauerten. Das Wort 'New man' ging plötzlich um; geflüstert, wiederholt, von Mund zu Mund. Körper begannen sich in der Zelle zu regen.
'Idem, sie sagen, du haben Platz für die zwei in deine Zelle', sagte der Albino, als sie das Büro am Ende des Korridors erreichten. Er legte dem pausbäckigen Mann in Polizeiuniform ein weißes Stück Papier auf den Tresen. Dann studierte er an der Wand einen Kalender mit Fotos farbenfroh gekleideter Frauen: NIGERIAN POLICE WIVES ASSOCIATION 2000. Der die Nase reizende Duft einer Moskito-Spule kämpfte mit dem Gestank, der vom Korridor hereindrang.
Idem beugte sich über das Papier. 'Hmmmmh, Gewaltandrohung und Diebstahl.' Er blickte hoch und warf einen kurzen Blick in Ikes glühende Augen.
Dann musterte er die sanften Formen von Zubas Gesicht, dessen Augen, die ihn aus einer schwindelerregenden Distanz anzustarren schienen, und senkte dann seinen Blick auf den goldenen Manschettenknopf, der ihm über der gepflegten Hand, die Zuba auf den Tresen gestützt hatte, entgegenblitzte. 'Ausziehen, ausziehen', bellte er. 'Oder willst du in Zelle gehen mit oberfeinem Anzug? Geld und Wertsachen gibst du auch ab.'
Seine Worte mussten bis ans Ende des Korridors gedrungen sein. Sofort wurden aus der Zelle Rufe laut:

'Wenn ihr Kerle euch hierein traut ohne eure cell-sho, dann verprügeln wir euch, bis ihr nicht mal mehr die Namen eurer Mütter kennt.'
'Denkt auf jeden Fall an eure cell-sho, sonst stopfen wir euren Kopf in den Scheißeimer.'
'Oder wir bringen euch heute noch um.'

Zuba und Ike tauschten Blicke. Die Angst, die sich hinter ihrer Coolness wie eine Art venerische Krankheit verbarg, brach plötzlich aus mit einem ganzen Bündel von Symptomen. Sie vergaßen die Peinlichkeit ihrer Situation, als sie sich mit aufgerissenen Augen und pochenden Herzen anstarrten.
'Ver-Verstehst du, wa-was sie da gerade sagen, Zuba?' Ikes normalerweise feste Stimme war nur noch ein Flüstern.
Zuba roch die Angst in Ikes Atem. Er traute seiner eigenen Stimme nicht. Er schüttelte den Kopf. Seine starren Finger knöpften das weiße, gestreifte Hemd auf, das er über seinen schwarzen Hosen trug. In keinem der Gefängnisberichte, die er gelesen hatte, in keiner Geschichte, die er gehört hatte, war jemals das Wort 'cell-sho'aufgetaucht. Er drehte sich zu Idem: 'Bitte, wovon. wovon reden die da? Was bedeutet cell-sho?'
'Cell-show. ihr werdet schon schnell genug herausfinden, was das heißt', antwortete Idem in perfektem Englisch.
'Bitte, haben Sie irgendeinen Rat für uns? Wir sind noch nie in so einer Lage gewesen.'
Idems Lippen dehnten sich zu einem traurigen Lächeln. Er schüttelte leicht seinen Kopf, mehr zu sich selbst. 'Wie heißt du?', fragte er.
'Zuba.'
'Okay, Zuba, gib mir davon eintausend Naira, und ich gebe sie ihnen.' Er wies mit seinem Kinn auf den Stapel Banknoten auf dem Tresen. 'Das dürfte helfen, von manchen Dingen verschont zu werden.'
Zuba zählte zwanzig Fünfzig-Naira-Scheine aus dem Stapel ab. Die Scheine zitterten, als er sie Idem hinhielt.
Idem steckte das Geld ein. 'Du nicht ausziehen Hose?'
Zuba schüttelte den Kopf. 'Ich bin okay.' Er fuhr mit seiner Hand über sein weißes Unterhemd und die schwarze Hose. Ike neben ihm hatte bis auf die schwarzen Baumwollshorts unter seiner Hose alles ausgezogen.
'Okay, Gürtel her. Gürtel sind nicht erlaubt in Zelle. Könnte irgendeiner sich aufhängen.'
Zuba löste die Schnalle und zog den Gürtel ab. Er löste auch seine Uhr; eine Seiko Automatik aus rostfreiem Stahl, die sein Vater ihm vor drei Jahren geschenkt hatte, einen Monat nach seinem achtzehnten Geburtstag.
'Und ihr Kerle habt wirklich abgeliefert alles Geld?', fragte Idem. ' Sie nehmen euch alles weg, sobald ihr in Zelle kommt.'
Ike nickte. Zuba nickte ebenfalls. Er tauschte einen Blick mit Ike, als er die Wärme des Geldes spürte, das er zu gleichen Teilen in die zwei Taschen seiner Shorts unter der schwarzen Hose gesteckt hatte. Er rieb an der wulstigen Narbe in seinem Gesicht. Eine spindeldürre Wespe summte vor ihrem schlammfarbenen Nest hinter Idem, genau in dem Winkel, wo die vergilbte Decke an die gelbe Wand grenzte, und das Summen wurde durch den schmalen Raum noch verstärkt.
Die Schreie vom Ende des Korridors ebbten ab; es waren nur noch einzelne Zurufe zu hören.
'Zuba, bitte lass mich die Sache regeln, wenn wir da reingehen.', sagte Ike.
'Nein, Ike. Keine Sorge, ich regle das.'
' Ich komme mit diesen Leuten besser klar als du. Lass mich. Vertrau mir.' Da war ein entschiedener Blick in Ikes Augen, den Zuba nur zu gut kannte. Hier ging es ums Überleben, nicht um irgendeinen Bürokram.
'Okay', sagte er.
Sie unterschrieben die Liste ihrer persönlichen Wertsachen und folgten Idem in den Korridor. Das Klirren der Schlüssel, das Kreischen verrosteter Scharniere, der Klang von Metall auf Metall, als die eisernen Riegel zurückgeschoben wurden. Zuba und Ike standen im finsteren Gestank der Zelle. Fünf Männer starrten sie an. Drei von ihnen saßen mit nacktem Rücken gegen die Wand gelehnt. Der vierte lag ausgestreckt auf dem blanken Boden. Sein langer Körper teilte die Zelle in zwei Abschnitte; sein Kopf war gegen die eine Wand gelehnt, seine Füße berührten die andere. Der fünfte, der seinen Platz direkt am Eingang geräumt hatte, um sie hineinzulassen, stand neben der Tür. Ein stämmiger, hellhäutiger Mann mit hervorstehenden Backenknochen, buschigem Haar und Bart.
Zuba suchte die schützende Kälte der Zellenwand hinter ihm. Sein Blick wanderte von einem Gesicht zum anderen. Ike stand stocksteif neben ihm.
Der stämmige hellhäutige Mann nahm seinen Platz vor dem Eingang wieder ein; sein linker Ellbogen lehnte auf dem eisernen Türgitter.
'Du, nimm', reichte Idem ihm etwas Geld durch die Gitterstäbe. 'Damit ihr sie gut behandelt.'
Idem entfernte sich.
'Was ist das? Zweihundert Naira?', bellte der Präfekt, nachdem die Echos von Idems Stiefeln im Korridor verhallt waren. Voller Verachtung fuchtelte er mit dem Geld in Richtung Zuba und Ike.
Zubas Herz hämmerte. Mit leerem Blick starrte er den Präfekten an.
Ike entfernte sich einige Schritte von der sicheren Wand. Er stand jetzt in der Mitte der Zelle, zwischen den ausgestreckten Beinen der anderen Insassen, und warf prüfende Blicke wie ein Architekt auf seiner Baustelle.
Zuba ahnte, wie Ikes Hirn hinter seinem aufgesetzten Lächeln arbeitete. Sag etwas, aber schnell, befahl er Ike in seinem Hirn (???).
'Ich sagte, was ist das?', fragte der Präfekt mit erhobener Stimme noch einmal. 'Mike', rief er.
Der Mann neben ihm sprang auf. Er war schmal und dunkel, und die Konturen seiner starken Knochen zeichneten sich deutlich unter der gespannten Haut ab. Seine Kleidung bestand bloß aus einer Hose, die von innen nach außen gewendet und über der Hüfte zusammengefaltet war, damit sie nicht herunterrutschte. Das cremefarbene Futter der Taschen bot einen komischen Kontrast zum schwarzen Stoff.
'Siehst du das?' sagte Mike und zeigte auf eine Inschrift mit weißer Kreide an der Wand. 'CELL-SHOW = N 500', las er vor.
'Oh, das steht immer noch dran', sagte Ike. Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde breiter.
'Ich hab das da hingeschrieben.'
Zubas Herz überschlug sich. Nur die Fliegen waren noch in der Zelle zu hören. Ike blieb, wo er war, trat von einem Fuß auf den anderen; alle hatten die Augen auf ihn gerichtet. Jemand lachte. Zuba war sich nicht sicher, von wem es kam. Er begann sich gerade in der Hoffnung zu wiegen, der Bluff von Ike hätte funktioniert, als Mikes Faust nach oben schwang, während der Mann, der auf dem Flur lag, nach Ikes Schritt griff.
'Ike, zurück! Zurück!' schrie Zuba und brüllte: 'Polizei! Polizei! Idem!'
Ike machte einen Satz. Mikes Schlag verfehlte sein Gesicht und landete auf seiner Schulter. Die Hand von unten fuhr zwischen seine Beine, riss an seinen shorts und verwandelte sie in einen Rock.
'Was ist da los?' rief Idem, als er den Korridor heruntergetrampelt kam. 'Ich sagte, was ist hier los? Wo Du, Zuba?' Er stand direkt vor der vergitterten Tür.
Ikes Peiniger hatten sich wieder auf den Boden gekauert und starrten stur vor sich hin. Ike war an die sichere Wand neben Zuba zurückgekehrt und keuchte.
'Em. Alles in Ordnung jetzt', sagte Zuba. Er streckte seinen Kopf in Richtung Gittertür, um Idem wieder zu beruhigen.
'Ich sag, kein Ärger mehr da drin. Ich will keinen Lärm. Sonst komm ich mit Tränengas.' Idem machte kehrt und ging. Kaum waren seine Schritte nicht mehr zu hören, als Mike und sein Mitangreifer wieder auf sie zukamen.
Zuba hob seine linke Hand, um sie zu stoppen.'Okay, okay.' Er schob die andere Hand in seine Hose und zog ein Bündel Geldscheine aus seinen shorts heraus.
Mike griff sich das Geld aus Zubas Hand und zählte. 'Dank deinem Schöpfer', sagte er und hielt einen Finger drohend vor Ikes Gesicht. Er brachte das Geld zum Präfekten. 'Eintausendeinhundert Naira.'
Der Präfekt nahm das Geld und zählte nach. Er nickte.
'Hast du nicht etwas für mich übrig?' erklang eine weibliche Stimme außerhalb der Zelle.
Der Präfekt knüllte einen Schein zusammen und warf ihn in Richtung der Zelle gegenüber. Eine junge Frau hinter der Gittertür angelte sich den Schein. 'Gesegnet seist du', erklang ihre Stimme von neuem.
Der Präfekt wandte sich wieder an Mike. 'Geb ihnen einen Platz.'
Mike ging zu dem Mann, der als letzter in der Reihe saß. 'Rück ein Stück, rück', brüllte er ihn an und gab ihm zwei Tritte. 'Du bleibst der letzte. Und wenn du bis Ende der Woche immer noch hier bist und deine cell-sho nicht voll bezahlt hast, dann geben wir dir nur noch einen Stehplatz.' Er winkte Zuba und Ike zu sich. Er platzierte Zuba an fünfter Stelle und Ike direkt hinter ihm. Dann ging er auf seinen Platz zwischen dem anderen Angreifer und dem Präfekten zurück.
Zuba ließ sich auf den Boden nieder. Er spürte noch die Wärme des Mannes, der seinen Platz gerade freigemacht hatte. Er streckte seine Beine aus.
'Diese Kerle wollten mich zum Eunuchen machen', murmelte Ike und hielt die zerrissenen shorts zusammen.
'Gott sei Dank trag ich noch Unterhosen drunter. Wie hätte ich das sonst meiner Frau erklärt?'
Zuba presste ein leichtes Lachen durch seine Lippen in der Hoffnung, dass Ike sich dadurch besser fühlte. Aber der stand noch immer unter Schock. Das war kein Anflug von Humor, bloß ein Selbstgespräch.
'New man, du in weißem Unterhemd, komm her', sagte der Präfekt.
'Steh auf! Steh auf!' winkte Mike Richtung Zuba. 'Obasanjo will dich sprechen.'
Zuba stellte sich auf seine Füße. Er konnte sich erinnern, irgendwo gehört zu haben, dass die Zellenchefs auch Präsidenten genannt wurden. Aber er wäre nie auf die Idee gekommen, dass sie den Namen eines amtierenden Präsidenten (Anmerkung!) annahmen. Er stand direkt vor dem Zellenchef. 'Mr. President sir!'
Ein Lächeln ließ den Präfekten etwas sanfter erscheinen:'Wie heißt du?'
'Zuba.'
'Woher kommt der Name? Ist das Igbo-Sprache?'
'Ja. Kurzform von Chikezuba.'
'Was bedeutet das?'
'Der Herr schuf genug Reichtum.'
'Hat er das?'
Zuba rieb an seinem Keloid.
'Was ist das für ein Geschwulst auf deiner Stirn? Oder ist das eine Narbe?'
Zuba nahm die Hand von seinem Gesicht. Er schüttelte den Kopf und sagte nichts.
'Was ist mit deiner Stirn passiert?' fragte der Präfekt hartnäckig.
'Das war ein Unfall, noch als Kind.'
'Was hat euch Kerle hiereingebracht?'
Zuba zögerte. War es nicht so, dass Leute manchmal verprügelt würden, wenn sie ihre Unschuld beteuerten?
'Ein Fall von Diebstahl.'
'Was habt ihr gestohlen?'
'Sie sagen, wir hätten Geld und Wertsachen gestohlen, von einer Familie.'
'Habt ihr?'
Zuba zögerte. Er schüttelte den Kopf.
Der Präfekt guckte ihn lange und streng an. 'Gut, das kommt vor', sagt er. 'Wissen eure Leute, dass ihr hier seid?'
'Nein, aber sie werden uns bald finden, ganz sicher,'
'Wovon lebst du?'
'Ich bin gerade mit der Schule fertig und studiere noch.'
'Dann bist du also einer von denen, die von der Schule nicht genug kriegen können, eh?'
'Warum drehst du deine Hose nicht um, von innen nach aussen, und schützt sie so vor Schmutz, damit sie immer noch sauber aussieht, wenn du rauskommst?', fragte Mike.
'Es ist schon okay', antwortete Zuba. 'Mir macht es nichts aus, wenn ich hier dreckig rauskomme.' Er machte eine Pause und versuchte dann einen kleinen Scherz: 'Sogar Obasanjo (Name ins Register!) höchstpersönlich war auch mal in einer Zelle.'
Der Präfekt lächelte. Der Zellengenosse neben Mike lächelte ebenfalls und sah der Person gar nicht mehr ähnlich, die wenige Minuten vorher gezielt nach den Eiern seines Freundes gegriffen hatte.
Der Präfekt warf seinen Kopf nach hinten und gähnte. 'Du kannst an deinen Platz zurück', sagte er.
Zuba nahm wieder seine alte Position ein. Der Boden unter seinen Handflächen fühlte sich körnig an. Er schaute sich die Zelle genauer an, begann mit der Ecke ganz hinten rechts an der gegenüberliegenden Wand, deren Anblick er vermieden hatte, seit er in der Zelle war. Ein ekliger, metallener Kübel stand an der Stelle, wo die zwei Wände aneinanderstießen, und spie seinen Gestank aus wie eine giftige Quelle. Das viereckige Stück Holz, das als Deckel gedacht war, passte nicht auf den krummen Rahmen. Fliegen schwirrten hinein und heraus. Die ausgestreckten Beine des älteren Mannes am Ende der Reihe waren nur Zentimeter davon entfernt.
Die Wände waren feucht und übersät mit getrockneten Blutspritzern. Mit Kreide oder Holzkohle waren Graffitis weiß oder schwarz auf ihr dreckiges Gelb geschrieben: BADBOY BAHODA LIVES HERE. DERICO NWAMAMA WUZ HERE und so ähnlich. Sie erinnerten Zuba an seine letzten Tage in der Oberschule, wo einige Schüler herumliefen und solche Graffitis an Wände kritzelten. Meistens waren das die dümmeren Schüler. Er konnte sich noch gut an einen erinnern, der seinen Namen in die Wand des Schulheims kratzte und dabei vor sich murmelte: 'Der Direktor sagte, ich hätte keinen Eindruck an der Schule gemacht, dann mach ich wenigstens einen an seiner Wand.'
Das Graffiti mit dem besten Platz an der Zellenwand war das mit Holzkohle gezeichnete, lebensgroße Halbporträt eines Mannes. Sein Gesicht war kantig mit vorspringenden Backenknochen und hartem Kinn. Die Nase war fast genauso breit wie die zusammengekniffenen, aber grinsenden Lippen; die schmalen, schielenden Augen gaben ihm einen nachdenklichen Ausdruck. BUGA IN CELL, stand neben der Zeichnung. THE GODIAN PROPHET FROM THE HOLYLAND. NO PLACE LIKE HOME.
Zuba legte sein Kinn auf die Knie. Er fragte sich, ob seine Schwester, Nonye, und der Hilfsarbeiter, der manchmal anstelle von Ike den Chauffeur spielte, ihnen inzwischen auf der Spur waren. Ein Polizist hatte sie, mit dem Gewehr in der Hand, davor gewarnt, ihm und Ike zu folgen, als sie von der Polizei abtransportiert wurden. 'Informier Rechtsanwalt Chigbo', hatte er gerade noch rufen können.
Dumpfe Schritte auf dem Korridor. Idem erschien vor der Tür und schob drei Metalltabletts unter dem Gitter durch. Die Tabletts schepperten über den Betonboden und zerrten an Zubas Nerven.
Der Präfekt griff sich eine Wassertüte und biss sie an einer Seite auf. Sein Adamsapfel bewegte sich hoch und runter, während er trank. Mike nahm sich auch eine und trank ebenso. Die anderen Insassen beobachteten sie. Als der Präfekt die Tüte von seinen Lippen absetzte, war nur noch die Hälfte des Inhalts übrig. Er spritzte ein wenig Wasser auf seine rechte Hand und wusch sie über dem Tablett. Er wandte sich an die beiden Insassen zwischen Mike und Zuba:

'Okpu-uzu, Drogist, jetzt haben wir Geld. Ich bin sicher, dass ihr Kerle lieber auf Madam Food wartet', sagte er.
'Klar', sagte der Eiergrapscher.
Okpu-uzu. Zuba und Ike schauten sich an. Der Eiergrapscher war also ein Schmied, mit Händen, die durch die Arbeit mit Eisen hart geworden waren.
Der Präfekt stieß die Tabletts in Richtung Zuba. 'Gib sie weiter an diesen Papa. Ihr Kerle kriegt was Besseres, wenn Madame Food kommt.'
Zuba starrte in die Schalen. Eine war gefüllt mit garri. Das garri war aber nicht durchgerührt wie üblich; es klebte fest und flach in dem Napf. In der zweiten Schale hatte man offenbar versucht, die okra-Suppe zu strecken. Sie war von einer durchsichtigen Schicht Wasser bedeckt. Zwei halbvolle Wassertüten standen auf dem letzten Tablett. Zuba gab alles weiter.
Papa nahm es in Empfang. Er war ein kleiner, schmaler Mann mit grauen Strähnen in seinem Haar. Seine Arme und Beine waren stämmig und schienen zu einem anderen Körper zu gehören; seine Bewegungen waren lethargisch und die Traurigkeit verschwand selbst dann nicht aus seinem Gesicht, wenn er geräuschvoll riesige Brocken garri herunterschlang.
Idems Stimme dröhnte den Korridor herunter: 'Madam, was du kochen heute?'
'Na, ogbono Suppe, eh.'
'Oh ja, gib mir was, mit zweimal extra Fleisch.'
Als sich Schritte auf dem Korridor näherten, machte sich Unruhe breit.
'Madam Food, da bist du ja', grüßte der Präfekt.
Eine mittelalte Frau stand vor den Gittern. Ihr Gesicht strahlte etwas von der Wärme der Herde und Küchen aus. Der Geruch von Holzfeuer und Gewürzen drang aus einem Tragebeutel auf ihrer Hüfte langsam in die Zelle. Der Stoff war so durchscheinend, dass die eingewebten Pferde wie Gespenster wirkten. Ein schwer beladener Metallkorb mit breitem, nach oben gebogenem Rand ruhte auf ihrem Kopf wie ein Sombrero.
'Ja, eh. Wie geht’s? Wie geht es euch? Wollt ihr heute überhaupt Essen kaufen?' Sie hob den Korb von ihrem Kopf und stellte ihn auf den Boden. Er war mit rauchgeschwärzten Töpfen, Plastikschalen, Besteck, einem schmalen blauen Gefäß und einem Kanister gefüllt.
'Nwamaka, ich hoffe, es ist alles in Ordnung. Du bist so ruhig heute', sagte sie und warf einen suchenden Blick in die gegenüberlegende Zelle.
'Ich sagte doch, dass ich mit dir nie wieder reden will.' Der helle Sopran ihrer Stimme klang wie ein Gemurmel.
Nwamaka. Das bedeutet: Ein Kind ist gut. Wenn man es aber anders betont, kann es auch heißen: Das Kind ist so schön. Zuba reckte sich nach vorn, um sie besser zu sehen. Sie war jung, ihre Haut glühte. Das geblümte Kleid, das sie einhüllte und ihre großen Brüste betonte, war abgetragen, aber sauber. Sie sah aus, als ob sie neu hier wäre. Aber Zuba wusste, sie hätte nicht diese Position in ihrer Zelle, wenn das tatsächlich so wäre. Ungepflegt waren nur die geflochtenen Haare auf ihrem Kopf. Zuba schätzte ihr Alter auf achtzehn bis zweiundzwanzig.
Aber die Art, wie sie zu Madam Food hochblickte mit ihren Betty-Boop-Augen und den schmollenden Lippen, ließ sie kaum älter als zwölf aussehen.
Madam Food lachte. 'Nwamaka, mein Kind, vergib mir. Ich hab dir heute was Besonderes mitgebracht. Lass mich schnell Peter und seine Leute versorgen, und dann hab ich Zeit ganz allein für dich.'
Das Schmollen auf Nwamakas Mund wich einem Lächeln. Drei älter aussehende Frauen, hinter ihr sitzend, beugten sich vor und beobachteten Madam Food.
'Was ist heute drin in deiner Suppe?' fragte der Präfekt.
'Getrockneter Fisch und Schweinefleisch. Sehr lecker.'
'Gib uns.', er blickte in die Zelle, '.sechsmal Essen.'
'Nein, für mich.' begann Ike.
Zuba stieß ihn an. 'Mein Partner und ich hatten erst vor kurzem lunch, wir teilen uns einen Teller.' Er war überrascht, dass der Präfekt sie in seine Versorgungsliste aufgenommen hatte und wollte diese Geste auf keinen Fall unhöflich zurückweisen. Er und Ike hatten dafür gesorgt, dass sie für den Rest des Tages kein Essen mehr bräuchten. Nach dem Verhör hatten sie in einem shop auf der Polizeistation Coca Cola und Brot gekauft und dann, aus demselben Laden, Antibiotika geschluckt, um jede Art von Darmtätigkeit zu stoppen – das hatte Zuba schon immer bei Magengrummeln geholfen.
'Okay. Also bring fünf Portionen', sagte der Präfekt.
Madam Food schob die Tabletts mit Essen und eine Schüssel Wasser zum Händewaschen unter den Gitterstäben hindurch.
'Es wäre schön, wenn du morgen früher kämst', sagte der Präfekt und gab ihr Geld. 'Ich habe dir ein Extra dazugetan. Und bitte, Mother Food, gib deinem Jungen Papierrolle, Kerzen und Streichhölzer mit, wenn er das Geschirr wieder abholt.'
'Ich habe verstanden', sagte die Frau. Sie knüllte die Scheine zu einer Kugel zusammen und steckte sie in ihren Büstenhalter.
Schlürfen und Schmatzen füllten die Zelle. Zuba schluckte den Speichel herunter, den der Geruch in der Zelle in seinem Mund zusammenfließen ließ, und prüfte das Essen: ein dampfender Haufen von gelbem garri und eine glibbrige Suppe mit zwei Maggiwürfel-großen Fleischstückchen. Er wollte die Frau nach einer Gabel fragen, aber nach einem Blick in die Runde hielt er das für unklug. Er machte sich ans Werk. 'Ike, lass nicht alles für mich, eh', sagte er.
Sie aßen langsam, pusteten auf suppengetränkte Klumpen von garri. Mama-puts, wie solche Straßenküchen wie die von Madam Food genannt wurden, hatten den Ruf, für bestimmte traditionelle Kochkünste zu stehen, die den teuren Restaurants abgingen, und dieses Essen hätte unter anderen Umständen wahrscheinlich sehr gut geschmeckt.
Aber Zuba entdeckte gerade den Zusammenhang von Geschmack und Geruch. Das Aroma des Essens wurde von dem Gestank der Zelle vollkommen überdeckt, das garri schmeckte ekelhaft und die breiige Suppe erinnerte ihn an irgendeinen Schleim.
Mike schob seinen saubergeleckten Teller zur Tür. Sein Körper war von Schweiß überströmt. An die Wand gelehnt, leckte er seine Finger ab. Die anderen Insassen folgten seinem Beispiel. Zuba und Ike machten sich schnellstens an den Rest ihres Essens. 'Danke', sagten sie zum Präfekten. Mike nahm ihre Teller und schob sie unter die Tür.
Zubas Hintern schlug hart auf den Boden. Er verlagerte das Gewicht und versuchte, seine Beine anders zu legen. Eine Hand umspannte seinen Oberschenkel. 'Vorsicht! Paß auf meinen Fuß auf! Nicht an die Wunde kommen', sagte der Drogist.
Zuba starrte den Fuß an. Der Knöchel des Drogisten war doppelt so dick wie normal. Die Wunde, groß wie eine Fünfzig-Kobo-Münze, eiterte. Ein Ring von schwarzem und glasig-gelbem Schorf aus getrocknetem Blut und Plasma umschloss ihre Öffnung. Zuba verzog sein Gesicht. 'Was ist passiert?'
'Sie haben auf mich geschossen. Beim Verhör. Und sagten, ich hätte fliehen wollen', sagte der Mann. 'Die Kugel ist noch drin. Sie haben mich in meiner Drogerie verhaftet, weil ich angeblich bewaffnete Räuber behandelt hätte. Ich weiß, dass meine lieben Kollegen dahinterstecken. Sie waren neidisch, dass mein Laden– gerade mal zwei Jahre, nachdem ich meine Lehre abgeschlossen hatte - so erfolgreich lief.'
Zuba sah sich den geschwollenen Knöchel genauer an. Es war keine Austrittswunde zu sehen. Hätte man während des Verhörs auf den Drogisten geschossen, wäre der Schuss wahrscheinlich aus kürzester Distanz gefallen, und hätte das nicht zu einer Austrittswunde führen müssen?. Oder hing das vielleicht von der Schusswaffe ab?
Der Junge holte das Geschirr ab und brachte Streichhölzer, Kerzen und die Papierrolle. Der Präfekt riss ein langes Stück von der Rolle ab und wickelte es mit seinen Fingern zu einer langen weißen Kordel. Dann legte er sie zur Seite, riss noch ein Stück Papier ab und fing wieder an zu wickeln. Er summte vor sich hin und arbeitete so bedächtig und langsam, als wollte er am liebsten gar nicht aufhören.
Zuba und die anderen Zellengenossen verfolgten jede Drehung seiner Hände.
Der Präfekt erhob sich. Sieben Papierkordeln, Streichhölzer und eine Kerze hielt er in seiner Hand. Er machte einen Schritt nach vorn und legte alle Gegenstände vor die gegenüberliegende Wand. Er zündete die Kerze an, wartete, bis sich unten an der Flamme Wachs gesammelt hatte, goss das geschmolzene Wachs auf das Ende einer Papierkordel und klebte die Kordel an die Wand. Er wiederholte die Prozedur, bis alle sieben Kordeln, hell weiß, vor der dreckig-gelben Wand baumelten. Sie ließen das Porträt, wenige Zentimeter darüber, wie ein Totem in einem Schrein aussehen.
'Es ist wegen der Gerüche. Warte bis morgen früh, und du wirst sehen', flüsterte der Drogist, als er Zubas fragenden Blick bemerkte.
Der Präfekt kehrte zu seinem angestammten Platz zurück. Er setzte sich und betrachtete sein Werk. Dann gab er dem Lied, das er vorher nur gesummt hatte, seinen Text und sang mit tiefem, heiseren Ton:

Jesus, my rock of ages
The pillar of my life
I run to thee, I shelter in thee
There’s nothing the world can do.

Das Geräusch eines draußen haltenden Autos drang in die Zelle. Türen wurden zugeschlagen. Zuba richtete sich auf. Sein Herzschlag schneller. Gedämpfte Stimmen. Er spitzte die Ohren. Schritte vorne im Büro.
'Guten Abend, Sergeant. Ich bin Rechtsanwalt Chigbo.'
Zuba atmete auf. Er spürte Wärme in seiner Brust.
'Ich bin hier, um meine Mandanten zu sehen. Zwei Männer: Zuba Maduekwe und Ike Okoye, gerade bei Ihnen eingeliefert.'
'Eure Leute sind gekommen', sagte der Präfekt und drehte sich zu Zuba und Ike.
Zuba nickte. Er biss auf seine Lippen. Neben ihm starrte Ike auf die Tür, ein frisches Glänzen in den Augen.
'Nur mit der Erlaubnis des Untersuchungsoffiziers dürfen Sie sie sehen', sagte Idem.
'Gut. Jedenfalls sind sie hier. Wir fahren noch mal los und holen die Erlaubnis.'
'Können Sie ihnen bitte diese Lebensmittel geben?'
Zuba schloss die Augen – seine Schwester Nonye!
'Nein. Ich hab Ihnen schon gesagt: Nichts, aber auch gar nichts ohne die Erlaubnis.'
'Wir sind gleich wieder da', sagte der Anwalt.
'Es ist bald Dienstschluss. Heute geht dann dann gar nichts mehr.'
'Wir werden uns anstrengen.'
Schritte entfernten sich.
Zuba sprang auf seine Füße. 'Herr Anwalt!'
'Zuba, bist du okay?'
'Zuba!' Nonyes Stimme klang etwas gepresst unter dem Druck der Verzweiflung.
'Nonye.', begann Zuba.
'Noch ein Wort und ich schmeiss Tränengas in die Zelle da', brüllte Idem.
Zuba presste die Lippen zusammen.
'Halt bloß durch, Zuba. Wir holen Euch raus. Wir kommen wieder.' rief Rechtsanwalt Chigbo.
Autotüren knallten, ein Motor keuchte beim Anlassen. Das Auto entfernte sich.
Zuba lauschte dem Geräusch des wegfahrenden Autos nach und folgte ihm solange, bis nicht mehr das leiseste Brummen zu hören war. Er setzte sich, zog die Knie an seine Brust und umklammerte sie mit seinen Armen. Er starrte an die Wand vor ihm. Die Buga-Zeichnung starrte auf ihn zurück, nachdenklich, und fragte sich mit ihm, wann seine Leute wohl wiederkämen. Zuba rieb an seinem Keloid. Er blickte hoch zu dem dunkel werdenden Stück Himmel, das durch das winzige Fenster zu sehen war.
'Sie werden morgen früh wiederkommen.' sagte Ike.
'Wahrscheinlich.' Zuba senkte den Kopf bis auf die Knie. Er rieb seine Narbe an der schwieligen Haut. Als er wenige Minuten später seinen Kopf hob, war Buga in der Dunkelheit verschwunden.
Die Sechzig-Watt-Birne, die von der Decke baumelte, ging an und warf ein öliges Licht.
Mike gähnte. Er stand auf und ging zum Toiletteneimer. Er pinkelte laut gegen das Metall. Er kehrte an seinen Platz zurück und machte sich lang. Andere folgten seinem Beispiel. Der Drogist quälte sich hoch und humpelte zum Eimer. Er stand auf einem Bein, als er pinkelte. Zuba war nach Ike der letzte, der vor dem Eimer stand. Er erwartete einen stechenden Gestank. Aber der Geruch, der ihm in die Nase stieg, war nicht so streng. Gab es einen Zusammenhang zwischen Licht und Geruch? Gehen Gerüche nachts schlafen?
Er ging an seinen Platz zurück und legte sich auf den Rücken. Er hatte noch nie auf dem Rücken schlafen können. Sein Bruder Chuu und er hatten als Kinder immer wieder das Schlafen auf dem Rücken geübt, die Beine zusammen und die Hände auf der Seite, genauso, wie sie es bei Yul Brunner in dem Film Der König und ich gesehen hatten. Sie hatten es die Königliche Schlafhaltung genannt. Aber es gelang ihnen nie. Jetzt musste er es besser machen. Seinen Bauch und sein Gesicht auf den dreckigen Boden zu legen war nämlich eine Sache, die er auf jeden Fall vermeiden wollte.
Das funzlige Licht ging plötzlich ganz aus. Dunkelheit füllte die Zelle. In der einsetzenden Stille hörte Zuba das Plärren eines Radios aus dem Anmeldebüro. Und Stimmen. Er hörte einen Mann im Büro fluchen. Der Strahl einer Taschenlampe strich durch die Dunkelheit. Das Zischen eines Streichholzes, das gerade angezündet wurde. Die Stimmen aus dem Büro nahmen ihre Unterhaltung wieder auf. Von dem winzigen Fenster oben an der Zellenwand wehte eine kühle, regenfeuchte Brise in die Zelle und mit ihr die Geräusche von raschelnden Blättern, zirpenden Grillen und das durchdringende Schreien von Fledermäusen.
Zuba schloss die Augen. Er fragte sich, wie es Nonye ging. Sie war viel zu ängstlich, als dass sie ganz allein im Haus schlafen würde, und ihr Hausmädchen war zur Hochzeit einer ihrer Schwestern nach Hause gefahren. Er hätte ihr das nicht antun dürfen. Er hätte auf sie hören sollen. Tränen stiegen in seine Augen, als er an seinen Vater im Krankenhausbett dachte. Wie anders, wie viel besser ihr Leben verlaufen wäre, wenn das große Ego seines Vaters ihn nicht dazu verführt hätte, den Universitätsjob zu quittieren und eine Oberschule zu gründen. Die Galle kam ihm hoch, als er vorstellte, wie die Schuldirektorin, Mrs. Egbetuyi, und ihr Ehemann in einem bequemen Daunenbett schliefen. Vielleicht hätte er doch dem Rat des befreundeten Polizisten folgen und die Operation 'Marihuana -Verkauf an Schüler' durchziehen sollen, nachdem er die andere Operation 'vergiftetes Schulessen' verworfen hatte. Dann wären es Mr. und Mrs. Egbetuyi, die jetzt auf einem kalten Betonboden liegen müssten.
Zuba rieb an seinem Keloid. Links von ihm schnarchten zwei Zellengenossen im Duett. Er fragte sich, woran Ike jetzt wohl dachte. An die Egbetuyis? An seine schwangere Frau? Sein Kind?
Moskitos schwärmten über die Zelle aus wie die vierte Plage des Alten Testaments. Riesige Moskitos mit Nadeln als Rüssel. Ihr Heulen brachte Zuba zur Raserei. Warum konnten sie nicht einfach ihrem Geschäft nachgehen, ohne sich vorher anzukündigen?
'Wenn sie sich bemerkbar machen, dann fragen sie: ’Schlafen siiiiiiiiiiiiiiiiiie noch?' hatte seine Mutter immer gesagt. ' Wenn ihr also nicht nach ihnen schlagt und damit beweist, dass ihr wach seid, stechen sie euch.'
'Aber Mama, ich hör nur ein langes Jaulen und kein einziges Wort', hatte er gesagt.
'Das liegt daran, dass sie moskitolesisch sprechen, kein Igbo und kein Englisch. Also schlagt nach ihnen, immer wieder, damit sie genau mitkriegen, dass ihr wach seid. Sonst geben sie euch die Malaria und ich gebe euch dann Injektionen mit den grossen Nadeln.'
In der Zelle schlug Zuba ununterbrochen.
'Diese Biester lassen einen nicht schlafen', brummte Ike und verscheuchte einige Moskitos.
Zubas rechter Arm tat langsam weh und er verlagerte das Schlagen und Scheuchen auf den linken. Stunden später lagen er und Ike aber ebenso regungslos da wie die anderen Insassen, viel zu müde, um noch auf die Rüssel zu reagieren, die sich auf der Suche nach ergiebigen Venen wieder und wieder in ihre Körper hineinbohrten.


Über Kachi A. Ozumba

Kachi A. Ozumba, 1972 in Nigeria geboren, studierte dort Philosophie, ging dann nach Großbritannien und machte in Leeds einen Abschluss in Literatur. Er gewann 2009 den Commonwealth Short Story Prize. Seine Geschichten wurden in vielen englischen und internationalen Zeitschriften und in verschiedenen BBC-Programmen veröffentlicht. Er lebt jetzt in Newcastle. 'Der Schatten eines Lächelns', 2009 in London erschienen, ist sein erster Roman.