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Am Fuß der Mauer

Am Fuß der Mauer

Widerstand und Gefängnis (1942 - 1954)

Am Fuß der Mauer
Taschenbuch 20,10
Taschenbuch
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Veröffentlicht 2010, von Abel Paz, Andreas W Hohmann(Hg.) bei Verlag Edition AV, TOT Editorial, S.A.

ISBN: 978-3-86841-033-4
Auflage: 1. Auflage
493 Seiten
21 cm x 13.5 cm

 
Jeden Augenblick erwartete ich den tödlichen Moment, doch meine Mörder fanden scheinbar keinen geeigneten Ort und gingen weiter. Keiner sprach. Nur Stille, Sterne und der Mond und das Gras, auf das wir traten. Sonst nichts. Plötzlich wurde mir signalisiert, in die Knie zu gehen. Sie zwangen mich dazu. Ich kniete mich hin. Ich sah den Mond an und wartete ab. In meinem Nacken spürte ich den ...
Beschreibung
Jeden Augenblick erwartete ich den tödlichen Moment, doch meine Mörder fanden scheinbar keinen geeigneten Ort und gingen weiter. Keiner sprach. Nur Stille, Sterne und der Mond und das Gras, auf das wir traten. Sonst nichts. Plötzlich wurde mir signalisiert, in die Knie zu gehen. Sie zwangen mich dazu. Ich kniete mich hin. Ich sah den Mond an und wartete ab. In meinem Nacken spürte ich den Lauf einer Pistole, die Kugel im Patronenlager und.

Neben „Feigenkakteen und Skorpione“ (1921-1939), „Anarchist mit Don Quichottes Idea-len“ (1936-1939) und „Im Nebel der Niederlage“ (1939-1942) ist „Am Fuß der Mauer”(1942-1954) der letzte Band von Abel Paz Biographie.

Einführung oder Vorwort
Vorwort

Bisher habe ich noch nie ein Vorwort zu einem Buch geschrieben. Doch dieses Mal tue ich es, weil mir ein Freund seine Hände um die Kehle legt: wenn ich nicht nachgebe, ersticke ich, und weil mir kein anderer Ausweg bleibt, bin ich hier und schreibe das Vorwort für meinen Freund Ricardo Santany.
Ricardo Santany1 lernte ich im Jahre 1942 im Modelo-Gefängnis von Barcelona kennen, und es war an mir, ihm als Schatten, der an seinem Körper klebte, die zehn Jahre zu folgen, die ich von Gefängnis zu Gefängnis durch das franquistische Paradies ging. Wir hatten sogar das Glück, gemeinsam aus der Gefängnisheilanstalt für Tuberkulose-Kranke in Cuellar (Segovia) in die Freiheit entlassen zu werden. Zusammen wurden wir im April 1952 nach Porcuna, ein Dorf bei Jaén, verbannt.
Da es uns unmöglich war, in diesem Dorf zu leben, wussten wir uns zu helfen, dass die „Junta de Libertad Vigilada“, die Bewährungsstelle, uns einen Umzug nach Barcelona genehmigte, ein Ort, an dem wir dachten, unser Leben als ehemalige Gefangene organisieren zu können, was sich uns ebenfalls als unmöglich erwies, und so mussten wir einen Beschluss fassen: Abstand zwischen uns und dem Franquismus zu gewinnen. Doch mein Freund antwortete, dickköpfig wie er ist, als ich ihm vorschlug, nach Frankreich ins Exil zu gehen, da er aus dem Nichts gekommen sei, würde er sich wieder ins Nichts auflösen. Ich ließ ihn zurück und ging ins Exil. Es war das Jahr 1954 und seitdem habe ich bis heute nichts mehr von meinem Freund Ricardo Santany gehört. Oft habe ich an ihn gedacht (wie könnte man auch einen Freund vergessen, der einem wie ein Schatten gewesen ist?), doch ich bekam von ihm direkt nicht das geringste Lebenszeichen. Indirekt erfuhr ich, dass er im Jahr 1956 verurteilt worden war, Urheber des Aufbaus einer klandestinen Druckerei in Barcelona zu sein, in der die Zeitungen „Solidaridad Obrera“2 und „CNT“3 gedruckt wurden. Doch sonst nichts von ihm. Ich dachte, er wäre gestorben. Aber so war es nicht. Hier steht er vor mir, quicklebendig und putzmunter.
Sein Besuch verpasste mir einen Stromschlag. Die ganze Vergangenheit wurde wieder präsent.
Hier ist er, er sitzt mit mir am selben Tisch mit seiner ewigen Zigarette zwischen den Lippen und dem Glas Wein bei der Hand. Er starrt mich an. Auf dem Tisch liegt ein umfangreiches, in Zeitungspapier eingewickeltes Paket. Er sieht mich weiter ironisch an und sagt schließlich:

„Was hast du denn geglaubt? Dass ich tot bin? Du wusstest doch zur Genüge, dass ich nicht hätte sterben können, ohne dass du es mitbekommen hättest. Wir sind Zwillingsbrüder, soweit der eine auch weg wäre, würde der andere doch den tödlichen Schlag ebenfalls mitbekommen…“
„Aber, verdammt noch mal! Warum hast du denn bisher nichts von dir hören lassen?“
Er sieht mich immer noch genauso an, mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen. Ich halte seinen Blick nicht aus, denn er gleicht so sehr dem meinen, dass ich glaube, mich selbst zu sehen. Wenn man immer sich selbst sieht, macht einen das wütend. Und so fühle ich mich auch, wütend. Er antwortet mir:

„Ich habe mich im Nebel aufgelöst. Ich bin in den Untergrund der Nichtexistenz abgetaucht. Ha! Ha! Du weißt nicht, wie gut man in der Nichtexistenz lebt. Wenn man existiert, ohne zu existieren, kann einem niemand die Hand auf die Schulter legen. Verstehst du? Dank dieser Situation konnte ich 1954 eine klandestine Druckerei aufbauen, und als die Polizei sie 1956 entdeckte, zack!, schlüpfte ich ihnen durch die Finger. Ich bin immateriell. Ich existiere nicht; und doch gibt es mich. Seitdem wir uns 1954 getrennt haben, war mein Kampf der Kampf des Geistes gegen die Materie.“
Nervös hörte ich mir seinen Sermon an, denn alles, was er mir erzählte, stimmte natürlich; mein Freund war ein Gespenst. Doch trotz allem war er hier, sah mich ironisch an, mit seiner Zigarette, dieses Mal zwischen den Fingern, und an seinen Lippen das Glas Wein, das er Schluck für Schluck leerte, und das auch noch elegant …
„Gut. Und was willst du von mir?“, fragte ich ihn und ließ dabei meiner schlechten Laune freien Lauf.
„Ruhig, Mann, ruhig! Ich will kein Geld. Ich weiß, dass du keine Pesete hast. Ich möchte nur, dass du ein Vorwort zu meinen Memoiren schreibst. Du weißt ja, dass ich ein Niemand bin, eine Null vor dem Komma, aber ich habe ein Leben, das weder unbedeutend ist noch aus „schnellen Stunden“4 besteht, sondern meine Jahre sind ziemlich langsam vergangen, und ich möchte mein Vermächtnis bekannt geben. Als ich die Idee dazu hatte, habe ich mich an dich erinnert.“
„Und warum gerade an mich? Du bist dir noch selbst genug, und das bis zum Überdruss. Willst du eine bessere Einleitung als dein Leben?“
„Das stimmt. Aber Vorworte sind in Mode. Du bist ein bekannter Schriftsteller, wenn du auch, wie ich weiß, nicht sehr von denen geschätzt wirst, aus denen die literarische Republik Spaniens besteht. … Entschuldige, ich wollte sagen, die literarische Monarchie. Aber du bist bekannt und ich bin ein unbedeutender Unbekannter. Ja, ein kleines Vorwort von dir würde meinen Memoiren gut tun. Hier, wirf mal einen Blick rein“, und er gab mir den in Zeitungspapier eingewickelten Haufen von Blättern.
Als ich diesen Haufen sah, schnaubte ich.
„Aber wie konntest du denn soviel über das Gefängnis schreiben? Wo da doch alles gleich ist, alles Routine. Deine Gefängnislaufbahn hättest du doch auf einem einzigen Blatt erzählen können …“
„Mensch!“, ruft da mein Freund, „du hast kein Recht, mir vorzuwerfen, ich wäre weitschweifig. Wie viele Seiten hast du denn gebraucht, um die Geschicke und Ungeschicke von Buenaventura Durruti zu erzählen?“
„Hör auf, hör auf, du bist doch nicht Durruti!“
„Verdammt! Ich habe geglaubt, du wärst Bilderstürmer, und nun entpuppst du dich als Antiquar!“
Ich wollte den Weg nicht weitergehen, zu dem mich mein Freund Ricardo verleiteten wollte, und fing an, seine Schrift durchzusehen. Alles war sehr ausführlich bis ins kleinste Detail geschildert. Sein Stil war schmucklos, aber direkt; es gab nur wenige Verzierungen. Es war das, was er gesagt hatte: ein Bericht über sein Leben im Gefängnis, über das Gefängnis im Allgemeinen, mit dem ganzen Gewicht eines archäologischen Tagebuchs einer Zeit-Stadt, die in der Geschichte des Landes verloren und vergessen war, in dem mein Freund und ich geboren worden waren.
„Und was für einen Wert soll das alles heute, im Jahr 1990, haben?“, fragte ich ihn, während ich den Wust an Blättern von mir schob. „Und außerdem“, bohrte ich weiter, „welcher Verleger wird sich denn darum reißen, ein Buch zu veröffentlichen, das niemand kaufen wird? Es gibt keine Verleger mehr. Hast du die Kommentare des New Yorker Verlegers André Schiffrin5 gelesen? Er sagt, wenn in vielen Ländern das vordringlichste kulturelle Problem die Zensur ist (wie in Spanien), ist heute der Markt selbst zum Zensor geworden. Jetzt schlucken die großen Unternehmen die kleinen Verlage, deren Ziel nie der Gewinn und die Herstellung von Bestsellern war. Heute wird in Spanien nichts publiziert, was nicht zum Ziel hat, die Ideologie der Macht zu stärken, die darin besteht, die Leute immer mehr zu verdummen. Nein. Deine Memoiren interessieren niemanden. Hier, in diesem Land haben alle ihr Gedächtnis verloren und niemand ist daran interessiert, es wiederzuerlangen …“
„Du bist sehr pessimistisch, mein Freund. Es ist das erste Mal, dass ich dich so reden höre“, antwortete mir mein Freund und warf mir einen wütenden Blick zu. „Verdammt noch mal! Solange es Leben gibt, gibt es auch Hoffnung, und was bedeutet das schon, dass wir die ganze Welt zum Feind haben. Umso besser, so kann es in unseren Reihen keine Deserteure geben. Los! Schreib ein paar Zeilen als Vorwort, und mir ist es egal, ob du mich als Träumer oder sonst was bezeichnest, wenn du denkst, ich hätte die Absicht, einen Verleger zu finden, der so blöde ist wie ich, ein Kapital aufs Spiel zu setzen, das, wie man so schön sagt, für den Papierkorb bestimmt ist.“
„Gut, wenn du willst, dann mache ich es, aber ich weiß, dass es vergeudete Zeit ist …“
„Vergeudeter als die Jahre, die wir im Gefängnis verbracht haben? Wofür und warum haben so viele unserer Freunde voller Hoffnung auf die Zukunft vor den Exekutionskommandos ‚Adiós a la vida’ gesungen? Du wirst sagen: ‚Wegen dem, was in Spanien passierte, nachdem Paquito Natillas6 ins Gras gebissen hat?’ Und ich werde sagen: ‚Nichts war vergeblich; sie haben uns aus Angst eingesperrt, sie haben uns aus Angst umgebracht, und aus derselben Angst wollen sie uns heute totschweigen. Unsere Geschichte wird mystifiziert, wir werden verleumdet, uns wird Salz und Wasser verweigert, warum nur? Hast du einmal darüber nachgedacht? Wie kann man nur Angst vor den Toten haben? Man kann nur Angst vor den Toten haben, wenn die Toten noch lebendig sind und ihre Ideen, auch wenn sie scheinbar ausgelöscht sind, weiter bestehen wie der alte Maulwurf, der unaufhörlich im Untergrund der Geschichte gräbt und gräbt.’“
„Ist ja gut, ist ja gut, spar dir deine Argumente für eine bessere Gelegenheit, denn den Optimismus und die Hartnäckigkeit wirst du noch brauchen, um irgendeinen verrückten Verleger zu überzeugen.“
„Nein, nein, ich nicht. Du weißt doch, dass ich nicht existiere. Diese Aufgabe überlasse ich dir. Du wirst derjenige sein, der meine Angelegenheit verteidigt, die Sache unserer historischen Vergangenheit. Hast du nicht immer in den härtesten Momenten im Gefängnis gesagt, dass sie uns das nicht mehr wegnehmen können, dass alles, was wir in unserer Revolution erlebt hatten, unsere ganze Existenz füllt, und dass wir von Trinkgeld lebten?“
„Schon gut, schon gut“, antwortete ich meinem Freund. „Ich werde das alles aus der Pflicht des Gewissens machen.“
„Das ist das Mindeste, was wir tun können“, sagte mir mein Freund. „Solange wir atmen, ist es unsere Aufgabe, die Zeit in Bewegung zu halten, um zu verhindern, dass die tote Zeit die lebendige Zeit des Geistes und des Gedankens begräbt.“
Mein Freund löste sich in Luft auf und verschwand, so wie er gekommen war, wie ein Geist. Und doch war er ein Gespenst, das vor mir Realität angenommen hatte, denn auf dem Tisch waren seine Blätter, eine halbe qualmende Zigarette und ein noch nicht ausgetrunkenes Glas Wein zurückgeblieben.
Ich überlegte eine Weile und verstand schließlich, was mein Freund wollte, als er mir seine Schriften anvertraute. Was er von mir verlangte, war nichts anderes, als dass ich deren Urheberschaft übernahm. Und nicht nur durch das Vorwort, sondern indem ich mit meinem Namen sein Werk verteidigte. Und wie könnte ich denn einem Zweiten eine Bitte wie diese abschlagen? Letztendlich konnte auch ich das unterschreiben, was er geschrieben hat, denn es war meine eigene Geschichte. Das ist auch der Grund, warum der Autor des Vorworts und der des Buches in einem einzigen Namen verschmelzen.

Über Abel Paz

Abel Paz

Geboren wurde Abel Paz 1921 in Almería. 1934 trat er der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CNT bei und arbeitete als Lehrling in einer Textilfabrik. Als er 15 Jahre alt war, begann der spanische Bürgerkrieg. Abel Paz erlebte den Sommer der Anarchie sowie den Bürgerkrieg auf Seiten der CNT und der FAI. Er kämpfte gegen das Franco-Regime und für die Soziale Revolution. Nach dem Sieg der Faschisten flüchtete er 1939 vor den Truppen General Francos nach Frankreich. Dort wurde er mit anderen antifaschistischen SpanienkämpferInnen in verschiedenen Lagern interniert. Nach dem Einmarsch der deutschen faschistischen Armee in Frankreich kehrte Abel Paz 1942 nach Spanien zurück, um dort im Untergrund gegen das Franco-Regime zu kämpfen. Im Dezember 1942 wurde er verhaftet und bis 1953 inhaftiert.
Abel Paz starb am 13. April 2009 um vier Uhr nachmittags in Barcelona. Er ist dort auf dem Friedhof „Tanatorio de Sancho de Avila“ beigesetzt.