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Steuerreform 2023 - Wurde die kalte Progression wirklich abgeschafft?

Beitrag von Mag. Peter Laukoter und em. Univ. Prof. Dr. Dr. hc. mult. Friedrich Schneider


In den letzten Jahren ist es durch die Corona-Pandemie zu Entwicklungen gekommen, die weltweit Produktion und Lieferketten negativ beeinflusst haben. In Österreich waren umfangreiche staatliche Hilfsprogramme erforderlich. Diese Entwicklungen wurden 2022 durch den Ukraine-Krieg getoppt, der dazu geführt hat, dass die Energiepreise explodiert sind und zu einem Inflationsausmaß geführt haben, das es in den letzten Jahrzehnten nicht gegeben hat. Das Institut für Höhere Studien erwartet für 2022 eine Inflation von 8,5%. Die Europäische Zentralbank versucht zwar, durch die Anhebung des Leitzinssatzes gegenzusteuern, muss aber auf stark verschuldete Staaten Rücksicht nehmen. Überdies wirken geldpolitische Maßnahmen mit Verzögerung. 

Daher hat der österreichische Staat eine umfangreiche Steuerreform auf den Weg gebracht, die 2023 wirksam wird und vorsieht, dass 

die kalte Progression abgeschafft wird und
die Steuersätze von 32,5% auf 30%, sowie 42% auf 41% gesenkt werden. 

In dieser empirischen Analyse wird untersucht, ob die kalte Progression wirklich „abgeschafft“ wird und welche Wirkung die einzelnen Maßnahmen bei der Erhaltung der Kaufkraft haben.

Allgemeine Überlegungen


Die Abschaffung der kalten Progression war schon seit über zehn Jahren in den Programmen vorheriger Bundesregierungen enthalten, allerdings nicht an prominenter Stelle und es erfolgte keine Abschaffung. Die derzeitige wirtschaftliche Situation hat die amtierende Bundesregierung dazu bewogen, dieses Projekt umzusetzen. Sie kommt dabei teilweise einem Appell nach, den die Autoren bereits in ihren Arbeiten „Abschaffung der kalten Progression in Österreich“ in den Jahren 2017 und 2018 erhoben haben. 

Als „kalte Progression“ versteht man den überproportionalen Anstieg der Steuerbelastung bei Bezugserhöhungen, hervorgerufen durch den in Österreich gültigen progressiven Steuertarif. Eine völlige Abschaffung der kalten Progression wäre nur möglich, wenn die Grenzen der Steuerstufen sowie alle für die Steuerberechnung relevanten Absetzbeträge und Steuerfreibeträge im Ausmaß der Bezugserhöhung angehoben würden. Das ist aber in der Praxis nicht möglich, weil unterschiedliche Bezugserhöhungen für Personengruppen den Regelfall darstellen. Daher hat sich die Regierung dazu entschlossen, einen Inflationswert für die Anpassung heranzuziehen, der sich aus dem Durchschnitt der Monatsinflationswerte Juli des Vorvorjahres bis Juni des Vorjahres ergibt. Für das Jahr 2023 ist das der der Durchschnittswert im Zeitraum Juli 2021 bis Juni 2022 mit 5,24%. Allerdings werden nur zwei Drittel dieses Wertes, das sind 3,47%, für die automatische Anpassung der Tarifgrenzen herangezogen. Das restliche Drittel wird nach politischen Zielen verteilt. Für das Jahr 2023 hat man festgelegt, dass die ersten beiden Tarifgrenzen um 6,3% angehoben werden und die restlichen Tarifgrenzen um 3,47%1. Die Tarifgrenze für Einkommen ab 1.000.000 Euro bleibt unverändert. Absicht der Regierung war es wahrscheinlich, durch die Anhebung der ersten beiden Tarifgrenzen die niedrigeren Einkommen stärker zu entlasten. Sie hat dabei aber nicht berücksichtigt, dass dadurch auch die höheren Einkommen begünstigt werden. Zielführender wäre es gewesen, eine Maßnahme zu wählen, die nur bei niedrigeren Einkommen wirkt.  Zusätzlich werden, wie im Regierungsprogramm festgelegt, die Steuersätze 32,5% auf 30% und 42% auf 41% gesenkt

Aus diesen Vorgaben (Abschaffung der kalten Progression und tiefere Steuersätze) ergibt sich ein neuer Einkommensteuertarif, der in Tabelle 2.1 dargestellt wird:

(Quelle: Sozialministerium, Wien 2022)

Die Absetzbeträge samt zugehörigen Einschleifgrenzen und die Sozialversicherungsrückerstattung werden um 5,2% angehoben. Eine Anpassung von Lohnsteuerfreibeträgen ist nicht vorgesehen.

Damit wurde ein Paket geschnürt, in dem die Abschaffung der kalten Progression und die Senkung der Steuersätze zusammenwirken. Im Folgenden wird untersucht, welchen Beitrag 

Bezugserhöhungen (am Beispiel des Tarifabschlusses bei den Metallern)
die Abschaffung der kalten Progression und
die Senkung der Steuersätze  zur Aufrechterhaltung der Kaufkraft im Jahr 2023 leisten.

1 Vergleiche hierzu: Michelitsch (2022).

Die Bezugserhöhung bei den Metallern 2023


Die Arbeitgeber:innen- und Arbeitnehmer:innenvertreter haben sich nach harten Verhandlungen darauf geeinigt, dass die Ist-Bruttobezüge um 5,4% und zusätzlich um einen Brutto-Fixbetrag von 75 Euro angehoben werden. Wir untersuchen ─ als Basis für weitere Analysen ─ vorerst die Frage, welche Auswirkungen sich auf die Kaufkraft ergeben, wenn es keine Steuerreform gegeben hätte. Dabei wurde für 2023 eine Inflation von 6,8% entsprechend der Prognose des IHS ─ mit Stand Oktober 2022 ─ angenommen.

Die Ergebnisse der Berechnungen sind in Abbildung 3 zusammengefasst.

(Quelle: eigene Berechnungen)

Es zeigt sich, dass eine kalte Progression von durchschnittlich -1,2% und damit ein Kaufkraftverlust von durchschnittlich -1,0% aufgetreten wäre. Die inflationsbedingt hohe Bezugserhöhung bei den Metallern hätte nicht ausgereicht, die Kaufkraft zu erhalten.

1. Auswirkung der Abschaffung der kalten Progression bei der Bezugserhöhung der Metaller 2023 

Als nächster Schritt wird untersucht, wie sich die Abschaffung der kalten Progression auf die Kaufkraft auswirkt. Die Senkung der Steuersätze wird in dieser Auswertung noch nicht berücksichtigt. 

Interessant ist auch die Frage, ob die kalte Progression tatsächlich eliminiert worden ist. Da die prozentuelle Bezugserhöhung größer ist als die prozentuelle Anpassung bei den Tarifgrenzen und nicht alle Bezugsgrenzen im gleichen Ausmaß angepasst worden sind, ist zu erwarten, dass eine restliche kalte Progression bestehen bleibt. 

Die visualisierten Ergebnisse zeigt Abbildung 3.1:

(Quelle: Eigene Berechnungen)

Erwartungsgemäß wird die kalte Progression nicht „abgeschafft“, sondern weitgehend eingeschränkt. Eine restliche kalte Progression von durchschnittlich -0,3% bleibt zurück, was dazu führt, dass die Kaufkraft nur um durchschnittlich 0,3% ansteigt. Bei niedrigeren und mittleren Bezügen ergibt sich allerdings eine deutliche Verbesserung der Kaufkraft.

2. Auswirkung der gesamten Steuerreform bei der Bezugserhöhung der Metaller 2023 

Abschließend wird analysiert, wie sich die Kaufkraft verändert, wenn zusätzlich zu den Maßnahmen für die Abschaffung der kalten Progression auch die beschlossene Senkung der Steuersätze zur Anwendung kommt  

Bei einer Senkung von Steuersätzen in niedrigen Tarifgrenzen werden aufgrund des progressiven Steuertarifes auch die höheren Einkommen begünstigt. Werden jedoch Steuersätze in höheren Tarifgrenzen gesenkt, partizipieren niedrigere Einkommen nicht. 2023 kommt es zu einer Senkung der Steuertarife für Einkommen über 19.134 bis 62.080 Euro. Daher profitieren Einkommen bis 19.134 Euro nicht von dieser Steuersenkung. Dieser Effekt tritt in der gegenständlichen Auswertung jedoch nicht in Erscheinung, weil die Analyse erst ab einem Jahreseinkommen von 20.400 Euro, also monatlich 1.700 Euro, durchgeführt wird.  

Da es bei einer Senkung von Steuersätzen nicht sinnvoll ist, die proportional zur Inflation hochgerechnete Steuer des Vorjahres mit der Steuer des laufenden Jahres zu vergleichen, entfällt die Ausweisung der kalten Progression. Ein Vergleich ist nur zielführend, wenn die Steuersätze im Vorjahr und im laufenden Jahr gleich sind. 

Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt in Abbildung 3.2:

(Quelle: Eigene Berechnungen)
 

Es zeigt sich, dass sich die Kaufkraft wesentlich verbessert, und zwar um durchschnittlich 1,4%. Wenn die Inflation das vom IHS prognostizierte Ausmaß nicht übersteigt, ergibt sich für alle Metaller eine Zunahme der Kaufkraft

3. Zusammenfassung 

Die „Abschaffung“ der kalten Progression stellt einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung der Kaufkraft für die meisten Bezüge dar. Allerdings wird die Entlastung in der Zukunft wesentlich davon abhängen, wie das „politische Drittel“ der Anpassung eingesetzt wird. 

Die Senkung der Steuersätze von 32,5% auf 30% und von 42% auf 41% bringt erwartungsgemäß für mittlere und höhere Bezüge eine spürbare Entlastung und damit eine Besserstellung bei der Kaufkraft. Im Regierungsprogramm ist vorgesehen, dass 2024 in einem weiteren Schritt der Steuersatz von 41% auf 40% gesenkt wird. Damit wären die geplanten Änderungen bei den Steuersätzen abgeschlossen. 

4. Beispielsrechnung für die gesamte Steuerreform bei der Bezugserhöhung der Metaller 2023  

In den bisherigen Analysen wurden die relativen Auswirkungen der Metaller-Bezugserhöhung in den definierten Steuerszenarien dargestellt. Die Frage nach den monetären Auswirkungen ist offengeblieben. 

In Tabelle 3.4 werden diese für drei ausgewählte Bezüge zusammengefasst: 

(Quelle: Eigene Berechnungen)

Wie man sieht, trägt die Steuerreform wesentlich zur Erhaltung der Kaufkraft bei. Die Bezugserhöhung bei den Metallern hätte bei den ausgewählten Bezügen zu einem Kaufkraftverlust ─ insbesondere bei höheren Bezügen ─ geführt, wenn die Steuerreform nicht gekommen wäre. Alleine durch die Abschaffung der kalten Progression hätte die Kaufkraft um 25 bis 34 Euro zugenommen. Das zeigt, wie wichtig es war, endlich etwas gegen diese schleichende Steuererhöhung zu unternehmen. Die zusätzlich beschlossene Senkung von Steuersätzen führt zu einer weiteren Kaufkraftzunahme, so dass diese insgesamt 30 bis 69 Euro beträgt. Erwartungsgemäß werden mittlere und höhere Bezüge bei dieser Senkung der Steuersätze stärker begünstig.  

Schlussbemerkung

Unsere Analyse zeigt, dass die von der Bundesregierung propagierte „Abschaffung“ der kalten Progression eine Übertreibung ist. Es wurden jedoch Maßnahmen gesetzt, die es ermöglichen, die im progressiven Steuertarif immanente kalte Progression weitgehend einzuschränken. Damit und mit der zusätzlich durchgeführten Senkung bei den Steuersätzen hat die Bundesregierung ein Paket vorgelegt, das wesentlich zur Erhaltung der Kaufkraft beiträgt.


Literatur

Peter Laukoter/Friedrich Schneider (2017)
Abschaffung der kalten Progression in Österreich ─ Eine empirische Analyse
Wirtschaftspolitische Blätter 1/2017, Seite 107 ff 

Peter Laukoter/Friedrich Schneider (2018)
Abschaffung der kalten Progression in Österreich ─ Eine empirische Analyse (Aktualisierte und ergänzte Neufassung der Studie von 2017)
Diskussionspapier des Forschungsinstitutes für Bankwesen, Johannes Kepler Universität, Linz, 2018 

Thomas Michelitsch
Abschaffung der „Kalten Progression“ vom 8. Nov. 2022
www.facultas.at/recht/progression

11. Jänner 2023



Mag. Peter Laukoter

war Geschäftsführer eines Pharmaunternehmens.

Dr. Dr. hc. mult. Friedrich Schneider

ist em. Univ.-Prof. der Abteilung für Wirtschaftspolitik Forschungsinstitut für Bankwesen, JKU Linz.




 


Peter Laukoter

© Privat


 

Friedrich Schneider

© Privat


 

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