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Neue Judikatur im Zivilrecht

Beitrag von ao. Univ.-Prof. Dr. Wolfang Zankl

Diese Ausgabe behandelt die neueste Judikatur des OGH zu den Themen:

- Verkehrssicherungspflichten dürfen nicht überspannt werden

- Duldung des unleidlichen Verhaltens des Sohnes belastet Vater

- Sind Garage und Wohnung ein einheitliches Bestandobjekt?

- 16 Monate Vertragsbindung bei Fitnessstudio zu lange


Verkehrssicherungspflichten dürfen nicht überspannt werden:

Die Klägerin in diesem Fall stürzte im Bekleidungsgeschäft der Beklagten über eine Stufe, als sie bei dem Betrachten eines Kleidungsstücks rückwärts ging. Daraus leitete sie Ersatzansprüche gegen die Beklagte ab, mit der Begründung, durch die mangelnde Kennzeichnung bzw Absicherung des Niveauunterschieds Verkehrssicherungspflichten verletzt zu haben. Die Klägerin war der Meinung, dass das Geschäft die Stufe als Gefahrenbereich durch Signalfarben hervorheben hätte müssen. Das erst- und zweitinstanzliche Gericht waren sich einig: die Verkehrssicherungspflichten seien nicht verletzt worden. Der Oberste Gerichtshof bestätigte die Urteile der Vorinstanzen und führte seine Rechtsprechung genauer aus. Das Kennzeichnen der Stufe mit einer Signalfarbe hätte nichts genutzt, da sich die Frau rückwärts bewegte. Der Niveauunterschied sei weiters nicht unüblich gewesen und durch unterschiedlichen Belag (graue Fliesen und brauner Holzboden) und gute Beleuchtung ohnehin sichtbar gewesen. Als Grundsatz legte der OGH fest: „Verkehrssicherungspflichten dürfen nicht überspannt werden. Ihr Umfang richtet sich vor allem danach, inwieweit die Verkehrsteilnehmer vorhandene Gefahren selbst erkennen und ihnen begegnen können. Vom Inhaber eines Geschäfts kann keine Beseitigung sämtlicher Gefahrenquellen gefordert werden, vielmehr ist auch vom Kunden zu erwarten, dass er beim Gehen „vor die Füße schaut“. Der Verkehrssicherungspflichtige hat zwar vor ungewöhnlichen Niveauunterschieden zu warnen. Stufen, die von den Verkehrsteilnehmern normalerweise wahrgenommen werden können, müssen aber nicht besonders gekennzeichnet werden.“ Der Klägerin wurde das begehrte Schmerzengeld somit verwehrt (1 Ob 143/22v).


Duldung des unleidlichen Verhaltens des Sohnes belastet Vater:  

Der Gegenstand dieses Verfahrens war die auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 Fall 2 MRG (unleidliches Verhalten) gestützte Aufkündigung des Mietvertrags des Beklagten. Klägerin in dieser Sache war die Stadt Wien – Wiener Wohnen. Der Beklagte ist seit dem Jahr 2006 Mieter der im Eigentum der Klägerin stehenden, auf der Stiege 5 einer Wohnhausanlage gelegenen Wohnung. Seit dem Jahr 2018 ist sein Sohn Mieter einer auf der Nebenstiege (Stiege 4) gelegenen Wohnung in derselben Anlage. Der Sohn geht immer wieder zwischen seiner Wohnung und der Wohnung des Beklagten hin und her; er isst und übernachtet jedoch in der Wohnung des Beklagten. Seitdem der Sohn des Beklagten eingezogen ist, gab es Spannungen zwischen diesem und in Stiege 4 und Stiege 5 wohnenden Personen. Der Sohn lauerte einer Bewohnerin der Stiege 4 wiederholt im Stiegenhaus auf, stellte sich ihr gezielt in den Weg und machte ohne Zustimmung Fotos von ihr. Nach einer von ihr erwirkten einstweiligen Verfügung stellte er dieses Verhalten ein. Wenig später jedoch fügte der Sohn des Beklagten der selbigen Bewohnerin der Stiege 4 vorsätzlich eine Verletzung am Körper zu, indem er sie im Keller angriff. Bei diesem Vorfall war der Beklagte anwesend. Zusätzlich begann er immer wieder gegen die Decke seiner Wohnung zu klopfen, um ihre Hunde zum Bellen zu bringen. In dem strafrechtlichen Verfahren des Sohnes sagte der Beklagte aus, er sehe keine Schuld bei seinem Sohn. Außerdem sagte er bezüglich des Vorfalls in dem Keller zugunsten seines Sohnes unrichtig aus. Das unleidliche Verhalten des Sohnes setzte sich fort, indem er auch Mitbewohnerinnen der Stiege 5 wiederholt abpasste. Einer der beiden ging er nach. Der Beklagte wusste, dass sein Sohn wiederholt anderen Hausparteien nachstellte. Die Klägerin kündigte am 19. 8. 2020 beim Erstgericht den Mietvertrag des Beklagten auf. Es liege der Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens vor, weil der Sohn des Beklagten den anderen Bewohnern das Zusammenleben verleide. Der Beklagte müsse sich das Verhalten seines Sohnes zurechnen lassen, weil der Sohn bei ihm wohne, der Beklagte von dessen Verhalten Kenntnis gehabt und es nicht unterbunden, sondern durch die Erstattung einer unrichtigen Aussage sogar unterstützt habe. Der Beklagte trat dem Klagebegehren mit dem wesentlichen Vorbringen entgegen, der Sohn wohne in seiner eigenen Wohnung. Ein allfälliges unleidliches Verhalten des Sohnes könne gegenüber dem Beklagten nicht geltend gemacht werden. Die Vorinstanzen erklärten die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichteten den Beklagten zur Räumung. Rechtlich führte das Berufungsgericht aus, der Mieter habe das Verhalten anderer Personen, die mit seinem Willen den Mietgegenstand benutzen, zu verantworten. Eine Ausnahme bestehe nur, wenn er von deren Verhalten keine Kenntnis habe, was hier nicht der Fall sei. Der Beklagte habe im erstinstanzlichen Verfahren weder zu einer positiven Zukunftsprognose noch dazu, dass er keine Abhilfe gegen das Verhalten seines Sohnes schaffen könne, Vorbringen erstattet. Der Beklagte machte zusammengefasst geltend, der Zweck der Zurechnung unleidlichen Verhaltens von Mitbewohnern zum Mieter könne nicht erreicht werden, wenn der Mitbewohner eine eigene Wohnung in derselben Wohnhausanlage bewohne. Die Zurechnung sei daher nicht gerechtfertigt. Dazu liege keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor. Der OGH gab dem Beklagten in diesem Punkt recht. Der vorliegende Fall zeichnet sich dadurch aus, dass dem Sohn des Beklagten aufgrund seines eigenen Mietvertrags der Zugang zur Wohnhausanlage unabhängig vom Mietverhältnis des Beklagten möglich ist. Die Wirkungen, die die Rechtsprechung mit der Zurechnung des unleidlichen Verhaltens der Mitbewohner des Mieters zum Mieter anstrebt, nämlich der Schutz der Hausgenossen vor den Störungen des Hausfriedens durch Mitbewohner des Mieters, können daher im vorliegenden Fall durch die Kündigung des Mietvertrags des Beklagten nicht oder jedenfalls nicht zur Gänze erreicht werden. Abgewiesen zugunsten des Beklagten hat der OGH den Fall jedoch nicht. Der Beklagte selbst könnte nämlich unleidliches Verhalten an den Tag gelegt haben und daher unter § 30 Abs 2 Z 3 Fall 2 MRG fallen, indem er von dem Verhalten des Sohnes wusste, nichts dagegen unternahm und ihn sogar noch durch falsche Aussagen in Strafverfahren bestärkte. Der OGH wies die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Falls sich die Verhaltensweisen durch Feststellungen als zutreffend erweisen, liegt darin ein Kündigungsgrund gemäß § 30 Abs 2 Z 3 Fall 2 MRG (6 Ob 26/22z).

Sind Garage und Wohnung ein einheitliches Bestandobjekt?  

Die Beklagten mieteten vom Rechtsvorgänger der Klägerin vor mehr als 20 Jahren mündlich eine Wohnung an, deren Mietzins sie monatlich zu bezahlen hatten. Seit Beginn dieses Mietverhältnisses war den Beklagten die Mitbenützung der Garage 1 gestattet. Im Jahr 2016 mieteten die Beklagten die freigewordenen Garagen 2 und 3. Die Jahresmieten für die beiden Garagen wurden, anders als die Miete für die Wohnung, bar bezahlt. Kündigungstermine und Kündigungsfristen für die Garagen wurden nicht besprochen. Die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des bisherigen Vermieters brachte die Aufkündigung der Garagen 2 und 3 ein und begehrte Räumung der beiden Objekte. Das Erstgericht und das Berufungsgericht waren sich über die rechtliche Beurteilung dieser Sache nicht einig. Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Es war der Meinung, dass es sich bei den Garagen und der Wohnung um ein einheitliches Bestandobjekt handelte. Das Berufungsgericht erklärte jedoch die Aufkündigung für rechtswirksam und gab dem Räumungsbegehren statt, da sich dem festgestellten Sachverhalt kein übereinstimmender Parteiwille auf Begründung eines einheitlichen Bestandverhältnisses entnehmen lasse. Der Oberste Gerichtshof beurteilte, dass sich das Urteil des Berufungsgerichts im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung halte und daher nicht korrekturbedürftig sei. Ob ein Bestandobjekt eine wirtschaftliche Einheit bilden soll und daher als einheitlich anzusehen ist oder ob mehrere in einem Vertrag in Bestand gegebene Sachen eine einheitliche Bestandsache bilden, hängt in erster Linie vom Parteiwillen bei Vertragsabschluss ab. Die sukzessive Abschließung von Verträgen zu verschiedenen Zeitpunkten, die gesonderte Mietzinsvereinbarung, aber auch der Umstand, dass in den Verträgen nicht festgehalten wurde, das neu hinzu gemietete Bestandobjekt solle eine Einheit mit den bereits angemieteten Teilen bilden, sind Indizien für das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer einheitlichen Bestandsache. Die Lösung der Frage, ob mehrere in Bestand gegebene Objekte eine einheitliche Bestandsache bilden, hängt jedoch stets von den Umständen des Einzelfalls ab (4 Ob 178/22p).

16 Monate Vertragsbindung bei Fitnessstudios zu lange: 

Die Klägerin in diesem Verfahren war eine gemäß § 29 Abs 1 KSchG zur Unterlassungsklage berechtigte Körperschaft öffentlichen Rechts (§ 3 Arbeiterkammergesetz 1992). Die Beklagte betreibt in mehreren Bundesländern Fitnessstudios, wobei sie regelmäßig mit Verbrauchern iSd § 1 KSchG Mitgliedsverträge abschließt, denen Allgemeine Geschäftsbedingungen zugrunde liegen. Genau diese Bedingungen waren der Klägerin ein Dorn im Auge. Daher begehrte die Klägerin die Unterlassung der Verwendung mehrerer Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern, sowie Urteilsveröffentlichung. Eine Klausel, die in diesem Verfahren bekämpft wurde, hatte den Inhalt, dass die Mitgliedschaft beiderseits mit drei Monaten Frist zum Monatsletzten gekündigt werden kann, wobei das Mitglied für die ersten zwölf Monate darauf zu verzichten hatte. Eine andere Klausel besagte, dass der Anbieter unter Umständen zum sofortigen Rauswurf von Kunden berechtigt sein soll. Das ist einerseits der Fall, wenn die Kunden (auch wahre) geschäftsschädigende Äußerungen tätigen, andererseits, wenn sie versuchen Kunden abzuwerben. Außerdem war in den AGB verlangt, dass die Mitglieder Einwilligung in die Videoüberwachung innerhalb des Studios gaben, sowie in die Speicherung und Verarbeitung gewonnener persönlicher Daten. Die letzte angefochtene Klausel betraf eine einmalige Verwaltungspauschale, eine halbjährliche Servicepauschale und eine Gebühr für ein Chipband, das die Funktion eines Türöffners hatte. Die Beklagte begehrte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Erstgericht gab dem Unterlassungs- und Veröffentlichungsbegehren zur Gänze statt. Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung teilweise Folge, wies das Klagebegehren betreffend der letzten Klausel über die sonstigen anfallenden Kosten ab und bestätigte im Übrigen das Ersturteil. Der Oberste Gerichtshof stellte das erstgerichtliche Urteil in der Hauptsache wieder her. Er führte eine umfassende Geltungs- und Inhaltskontrolle der Klauseln sowie eine Prüfung der Einhaltung des Transparenzgebots durch. Die Geltungskontrolle bezieht sich auf nachteilige, überraschende und ungewöhnliche Klauseln. Nach § 879 Abs 3 ABGB ist eine in AGB oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in AGB oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Überprüft wird das durch die Inhaltskontrolle. Das Transparenzgebot soll es dem Kunden ermöglichen, sich aus den AGB oder Vertragsbestandteilen zuverlässig über seine Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren. 
Der Oberste Gerichtshof hob alle Klauseln mit folgenden Begründungen als gesetzeswidrig auf: Die Vertragsbindung von 16 Monaten sei intransparent und zu lang. Außerdem sei diese nicht einmal durch hohe Investitions- oder Personalkosten gerechtfertigt. Als ungewöhnlich, benachteiligend und überraschend beschreibt der OGH auch die unzulässige Beschränkung der Meinungsfreiheit bei der Möglichkeit des Rauswurfs nach geschäftsschädigenden Aussagen der Kunden. Gleichermaßen wird von dem OGH auch das Verbot der Abwerbung von Kunden, das mit lauteren Methoden eigentlich erlaubt ist, beurteilt. Betreffend die Videoüberwachung und Verarbeitung persönlicher Daten sieht der Oberste eine Verletzung der Datenschutzgrundverordnung. Gröblich benachteiligend sind schließlich die zusätzlichen Pauschalen und Gebühren, da einerseits nicht ersichtlich war, welche besondere Leistung ihnen gegenüberstanden und sie andererseits dem deklarierten All-in-Konzept widersprachen (4 Ob 62/22d).

Alle monatlichen Zankl.updates auf einen Blick finden Sie hier: https://www.facultas.at/verlag/rws/zankl_update

29. November 2022



ao. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Zankl

ist Universitätsprofessor am Institut für Zivilrecht der Universität Wien (www.zankl.at), Gründer und Direktor des weltweiten Netzwerks für IT-Recht (www.e-center.eu), Entwickler und Leiter der ersten juristischen Crowd-Intelligence-Plattform (www.checkmycase.com) und Foundation Member der Computer Ethics Society Hong Kong.

 © Privat

 

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