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Zankl.update im Jänner 2023

Beitrag von ao. Univ.-Prof. Dr. Wolfang Zankl

Diese Ausgabe behandelt die neueste Judikatur des OGH zu den Themen:

- Lebensgemeinschaft oder Freundschaft?

- Anrechnung von Schenkungen im Verlassenschaftsverfahren

- Verschuldensteilung bei nächtlichem Unfall auf Bundesstraße

- COVID-19 und Pachtzinsminderung auf der Schutzhütte 


Lebensgemeinschaft oder Freundschaft?

Der Erblasser hinterließ eine letztwillige Verfügung aus dem Jahr 2002, in der er die Erstantragstellerin als seine Lebensgefährtin bezeichnete und zu seiner Alleinerbin einsetzte. Die Zweit- bis Neuntantragsteller sind gesetzliche Erben. In diesem Fall beschäftigte sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage, ob die bestandene Beziehung zwischen der Erstantragstellerin und dem Erblasser noch unter eine „Lebensgemeinschaft“ iSd § 725 Abs 1 ABGB fällt. Eine Lebensgemeinschaft ist eine eheähnliche Verbindung zwischen zwei Personen, die einerseits in einer seelischen Verbundenheit wurzelt, andererseits idR auch die Merkmale einer Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft aufweisen muss. Allerdings müssen iS eines beweglichen Systems nicht stets alle drei Voraussetzungen vorhanden sein, sondern kann das Fehlen eines Kriteriums durch das Vorliegen der anderen ausgeglichen werden, wobei stets die Umstände des Einzelfalls entscheiden. Wann eine Lebensgemeinschaft als beendet anzusehen ist, lässt sich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantworten. Dies ist in diesem Fall genau zu prüfen, da nach § 725 ABGB mit Auflösung der Lebensgemeinschaft davor errichtete letztwillige Verfügungen, soweit sie den früheren Lebensgefährten betreffen, aufgehoben werden, es sei denn, der Verstorbene ordnet ausdrücklich Gegenteiliges an. Der Verstorbene und die Erstantragstellerin lernen sich in den 1980er-Jahren kennen und gingen 1997 eine Beziehung ein. Sie war weiterhin in Tirol und er in Niederösterreich wohnhaft, doch besuchten sie sich regelmäßig und waren insgesamt sechs Monate im Jahr zusammen. Zum Geschlechtsverkehr kam es insgesamt drei Mal. Zwischen ihnen bestand eine tiefe seelische Verbundenheit und ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Gerichte zweifelten in diesem Stadium der Beziehung nicht an einer Lebensgemeinschaft. Im Herbst 2012 änderte sich jedoch einiges. Der Erblasser unterzog sich damals einer Knieoperation. Die Partnerin fühlte sich mit seiner Pflege überfordert und es wurde eine 24-Stunden-Pflege für den Mann angeheuert. Die   Aktuelle Entwicklungen im Zivilrecht. Erstantragstellerin zog nach Tirol zurück. Die beiden telefonierten noch täglich miteinander, nachdem die Frau ein halbes Jahr später einen Schlaganfall erlitt, telefonierten sie gar nicht mehr. Zuletzt haben sie jedoch wieder begonnen einmal im Monat Kontakt über das Telefon zu pflegen. Dies wurde wegen des geistigen Zustandes des Erblassers aber auch immer schwieriger. Persönlich sahen sich die beiden nur noch einmal - im Jahr 2018 beim 80. Geburtstag des Mannes. Er erkannte sie erst nicht, später aber doch und freute sich dann über ihr Kommen. Im Folgejahr verstarb er.
Das Erstgericht verweigerte der Erstantragstellerin das Erbe, das Berufungsgericht sprach es ihr wieder zu. Der OGH urteilte, dass es auf das Ende der Lebensgemeinschaft ankomme. Diese sei 2012 beendet worden, da ab diesem Zeitpunkt keines der drei relevanten Elemente mehr vorlag. Die Erstantragstellerin hat den Verstorbenen nach seiner Operation verlassen und sich an seiner Pflege nicht mehr beteiligt. Sie hat ihn - abgesehen von einem Besuch zum Geburtstag - während der darauffolgenden 7 Jahre bis zu seinem Tod nicht mehr gesehen. Auch wenn es ihr faktisch nicht möglich war, ihn alleine zu versorgen, musste sie ihn nicht unmittelbar nach seiner Operation verlassen. Auch (zunächst) häufige Telefonate und ein Besuch nach 6 Jahren sind keine Kriterien für eine Lebensgemeinschaft. Deren gesonderte Berücksichtigung würde die Grenze zu einer Freundschaft völlig verschwimmen lassen. Das Testament gilt folglich als aufgehoben (2 Ob 97/22m).


Anrechnung von Schenkungen im Verlassenschaftsverfahren  

Die 2018 ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung verstorbene Erblasserin hatte zwei Kinder, in diesem Fall die Revisionsrekurswerberin (die Tochter) und deren Bruder (der Sohn). Beide gaben aufgrund des Gesetzes bedingte Erbantrittserklärungen jeweils zum halben Nachlass ab. Die Tochter beantragte die Hinzurechnung von Vermögen gemäß §§ 753 ff ABGB mit der Begründung, dass die Erblasserin dem Sohn mehrere Liegenschaften, Anteile an Liegenschaften und Anteile an einer KG und einer GmbH zu Lebzeiten geschenkt habe. Daher forderte sie in der Folge, dass die Bewertung dieser Liegenschaften und Gesellschaftsanteile vorgenommen werde. Die Hinzu- und Anrechnung entsprechend § 753 ABGB habe im Verlassenschaftsverfahren zu erfolgen, wobei der Sohn aus der Verlassenschaft nichts mehr zu erhalten habe. Der Sohn sprach sich gegen die Bewertung der erfolgten Schenkungen im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens aus. Die Erbteilung habe im streitigen Verfahren zu erfolgen.
Der Oberste Gerichtshof sprach aus: Nach § 753 ABGB muss sich ein Kind bei der gesetzlichen Erbfolge auf Verlangen eines anderen Kindes eine Schenkung unter Lebenden anrechnen lassen. Im Vergleich zur alten Rechtslage (§§ 790 ff ABGB aF) kam es durch das ErbRÄG 2015 zu einer Ausweitung der Anrechnung bei der gesetzlichen Erbfolge von Kindern. Nach alter Rechtslage waren nämlich nur Vorempfänge und Vorschüsse anrechenbar. Diese Ausweitung der Anrechnung auf alle Schenkungen durch das ErbRÄG 2015 ändert aber nichts daran, dass die Anrechnung die Erbquoten nicht verschiebt oder verändert, sondern nur einen Wertausgleich herbeiführen soll, also die Werte verändert, die die Erben aus dem Nachlass erhalten. Da die Anrechnung nach § 753 ABGB die Erbquoten nicht verändert, spielt sie letztlich nur bei der Erbteilung eine Rolle, wenn es darum geht, welcher Erbe wie viel aus der Verlassenschaft erhalten soll. Mit dem Tod eines Erblassers, der mehrere Erben hinterlässt, entsteht zwischen diesen zunächst eine schlichte Rechtsgemeinschaft nach den §§ 825 ff ABGB, die sich auf das Erbrecht bezieht. Mit der Einantwortung werden die Erben, solange keine Erbteilung stattfindet, Miteigentümer der körperlichen Nachlasssachen nach dem Verhältnis ihrer Erbteile. Die Gemeinschaft wird nach ständiger Rechtsprechung durch die Erbteilung aufgehoben, die von jedem Miterben vor oder nach der Einantwortung verlangt werden kann, aber erst mit dieser dinglich wirksam wird. Sie erfolgt entweder durch Erbteilungsübereinkommen, oder – mangels Einigung – durch Erbteilungsklage. Über die Berechtigung der von einem Kind nach § 753 ABGB verlangten Anrechnung von Schenkungen auf den gesetzlichen Erbteil ist nicht im Verlassenschaftsverfahren abzusprechen. Über die aus diesen Differenzen resultierende Uneinigkeit über die Erbteilung ist vielmehr im streitigen Rechtsweg zu entscheiden. Die Anträge der Tochter wurden daher abgewiesen (2 Ob 100/22b).

Verschuldensteilung bei nächtlichem Unfall auf Bundesstraße  

Der 14-jährige Kläger hielt während einer Autofahrt mit Freunden auf der B 311 seine Haube aus dem Fenster, woraufhin diese auf die Fahrbahn fiel. Später in der Nacht kehrte er zusammen mit einem Freund zu der unbeleuchteten Bundesstraße im Freilandgebiet zurück, um diese zu suchen. Als er die Mütze im Bereich einer Sperrlinie entdeckte, überquerte er mit Warnweste bekleidet einen etwa neun Meter breiten Fahrstreifen, um sie zu holen. Als er dies getan hatte, drehte er sich um, um wieder den Rückweg zu dem am Rand mit Warnblinkanlage abgestellten Auto des Freundes anzutreten. Genau dieses Fahrzeug lenkte die Beklagte so sehr ab, dass sie nicht auf die Fahrbahn achtete, sodass sie den an sich aus rund 100 Metern für sie im Abblendlicht erkennbaren Kläger erst so spät als Gefahr wahrnahm, dass sie keine wirksame Bremsung mehr einleiten konnte. Der Kläger wurde bei dem Unfall schwer verletzt. Die Beklagte hat ausgehend vom Zeitpunkt der erstmaligen Erkennbarkeit des Klägers eine Reaktionsverspätung von (zumindest) fünf Sekunden zu verantworten. Die Vorinstanzen gingen von gleichteiligem Mitverschulden der Unfallbeteiligten aus. Sie lasteten der Frau einen massiven Aufmerksamkeitsfehler an. Der Oberste Gerichtshof teilte diese Ansicht. Bei Dunkelheit hat eine mit Abblendlicht fahrende Kraftfahrerin grundsätzlich mit einer Geschwindigkeit zu fahren, die ihr das Anhalten seines Fahrzeugs innerhalb der Reichweite des Abblendlichts gestattet. Welche Geschwindigkeit konkret zulässig ist, kann nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Aber auch ein Mitverschulden des Klägers wurde angenommen. Er hätte vor Antreten des Rückweges zum abgestellten Wagen auf möglicherweise annähernden Verkehr zu achten gehabt. Darüber hinaus hätte er sodann die Fahrbahn in angemessener Eile zu überqueren gehabt und darauf zu achten, dass der Verkehr nicht behindert wird. Maßgeblich ist bei der Verschuldensabwägung vor allem die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr und die Wichtigkeit der verletzten Vorschrift für die Sicherheit des Verkehrs sowie der Grad der Fahrlässigkeit. Ob die Verschuldensteilung angemessen ist, ist eine bloße Ermessensentscheidung des Gerichts. Entgegen der Forderung des Klägers von einer Verschuldensteilung von 1:3 zu seinen Gunsten teilte der OGH die Ermessensentscheidung der Vorinstanzen und nahm ein gleichteiliges Verschulden an (2 Ob 160/22a).

COVID-19 und Pachtzinsminderung auf der Schutzhütte 

Die Klägerin hatte der Beklagten eine Schutzhütte verpachtet. Sie erhob eine Pachtzins- und Räumungsklage. Die Vorinstanzen beurteilten die Schutzhütte während des COVID-19-Lockdowns vom 3.11.2020 bis 18.5.2021 als zur Gänze unbrauchbar im Sinn des § 1104 ABGB, da nach den Anordnungen der COVID-19- Schutzmaßnahmenverordnung Schutzhütten als Beherbergungsbetriebe galten. Deren Betreten war zum Zweck der Inanspruchnahme von Dienstleistungen untersagt. Der Oberste Gerichtshof führte genauer aus, dass nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung die COVID-19-Pandemie als „Seuche“ im Sinn des § 1104 ABGB zu werten ist. Führen aufgrund dieser Pandemie durch Gesetz oder Verordnung angeordnete Betretungsverbote für Geschäftsräume in Bestandobjekten zu deren gänzlicher Unbenutzbarkeit, ist sowohl auf Miet- als auch auf Pachtverträge § 1104 ABGB anzuwenden. Bloß teilweise Unbenutzbarkeit führt hingegen zur Anwendung des zwischen Mietund Pachtverträgen differenzierenden § 1105 ABGB. Ob gänzliche oder nur teilweise Unbrauchbarkeit vorliegt, ist ausgehend vom vereinbarten Geschäftszweck anhand eines objektiven Maßstabs zu beurteilen, wobei die Beweispflicht für die mangelnde Brauchbarkeit den Bestandnehmer trifft. Bei der Beurteilung der Brauchbarkeit kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalls an. Zwar kann die objektiv bestehende Möglichkeit, ein Liefer- oder Abholservice anzubieten, eine zumindest teilweise Brauchbarkeit begründen. Dastrifft aber dann nicht zu, wenn ein nachhaltiges Verlustgeschäft zu erwarten gewesen wäre. Dass dies hier der Fall war, ist im Hinblick auf die exponierte Lage und die fehlende Verkehrsanbindung der Schutzhütte jedenfalls vertretbar.
Das bloße Belassen des Inventars in den Räumen ist keine „Nutzung“ des Bestandobjekts zum vertraglich vereinbarten (Geschäfts-)Zweck. Anderes kann für eingelagerte Lebensmittel nicht gelten, die zur Zubereitung und Verköstigung künftiger Gäste des Betriebs bestimmt waren, aber wegen der Betretungsverbote nicht in diesem Sinn verwendet werden konnten. Daraus konnte die Beklagte ebenso wenig einen dem Geschäftszweck zuzuordnenden Gebrauchsnutzen ziehen wie aus der bloßen Erhaltung und Verwaltung des Pachtobjekts (1 Ob 178/22s).

Alle monatlichen Zankl.updates auf einen Blick finden Sie hier: https://www.facultas.at/verlag/rws/zankl_update

1. Jänner 2023



ao. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Zankl

ist Universitätsprofessor am Institut für Zivilrecht der Universität Wien (www.zankl.at), Gründer und Direktor des weltweiten Netzwerks für IT-Recht (www.e-center.eu), Entwickler und Leiter der ersten juristischen Crowd-Intelligence-Plattform (www.checkmycase.com) und Foundation Member der Computer Ethics Society Hong Kong.

 © Privat

 

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